Die Fronten sind verhärtet

■ Dudajew und Jelzin ohne Verhandlungsspielraum

Der Versuch, fehlende Erfolge durch ihre Ankündigung wettzumachen, kann kurzzeitige Erfolge bringen – wenn es auf diese ankommt. Bei Boris Jelzin ist selbst dieses propagandistische Mittel stumpf geworden. Er kann offenbar nicht einmal mehr einen Waffenstillstand durchsetzen. Der russische Militärkommandeur in Tschetschenien hat gestern den Waffenstillstand sofort als undurchführbar bezeichnet und den russischen Präsidenten damit bloßgestellt. Warum sollten Dudajew und seine Gruppe Jelzins Aussagen noch ernst nehmen?

Dabei erscheinen die neuen Angebote des russischen Präsidenten nur auf dem Hintergrund der bisherigen Entwicklungen unpraktikabel. Ein Waffenstillstand ist Vorbedingung für Verhandlungen. Außer Dudajew gibt es keine sinnvollen Verhandlungspartner. Autonomie innerhalb Rußlands ist das, was die Tschetschenen in der gegenwärtigen Zeit maximal erreichen können; über sie ließe sich verhandeln.

Aber die Fronten sind auch von der tschetschenischen Seite her verhärtet. Auf deren Forderung nach einem vollständigen Truppenabzug und der Gewährung vollständiger Unabhängigkeit einzugehen hieße für die russische Führung das bedingungslose Eingeständnis einer vollständigen Niederlage. Ein solches Eingeständnis läßt sich innenpolitisch noch nicht durchsetzen.

Die tschetschenische Führung um Dudajew hat ihrerseits kaum Spielräume. Eine Aufstandsbewegung, die von ihren Kämpfern extreme Opferbereitschaft verlangt, ohne daß ein Erfolg schon greifbar wäre, kann ein bestimmtes Radikalitätsniveau nicht unterschreiten. Die Zukunftshoffnungen müssen dem Selbstopfer entsprechen. Die Aufständischen können einen solchen Krieg nur durchhalten, weil sie an die Befreiung, die vollständige Unabhängigkeit und mit ihr an das Glück glauben. Eine eingeschränkte Autonomie käme einer Niederlage gleich, und jeder Führer, der sich auf sie einließe, erschiene als Verräter.

Ließe sich Dudajew auf Jelzins Angebot ein, würde entweder die tschetschenische Widerstandskraft zusammenbrechen, oder radikale Abspaltungen würden den Krieg fortsetzen. Dudajew kann also ebensowenig verbindlich verhandeln wie Jelzin. Und der Krieg geht – erst einmal – weiter. Erhard Stölting