Frühling im Watt

■ Die Zugvögel kehren nur zögerlich zurück in ihre Brutreviere an der Nordsee Von Heike Wells

Spät kommt er, der Frühling, und spät kommen auch viele der Frühlingsboten, die Zugvögel. Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, wo in den Vorjahren bereits Mitte März rund 40.000 Nonnengänse gezählt wurden, sind bislang nur etwa die Hälfte anzutreffen, berichtet der Biologe Klaus Günther, Mitarbeiter der Wattenmeerstelle des World Wide Fund for Nature (WWF) in Husum.

In einem länderübergreifenden Projekt beobachten und erfassen Ornithologen regelmäßig im gesamten Wattenmeer – von den Niederlanden bis nach Dänemark – die Vogelvorkommen. Danach sind es vor allem die verschiedenen Gänsearten, deren Ankunft sich in diesem Jahr verzögert. Aber nicht auf alle Arten wirkt sich der lange Winter so deutlich aus: Die Zugvögel, die aus ihren afrikanischen Winterquartieren am spätesten im Wattenmeer eintreffen, werden nach Günthers Angaben im April oder Mai voraussichtlich „normale Verhältnisse“ verbinden.

Zu ihnen zählen unter anderem Sichelstrandläufer, Grünschenkel und Wasserläufer. Ihr Zugverhalten wird von einem „inneren Kalender“ bestimmt, wie der Biologe es nennt. Für sie ist das Wattenmeer im Frühjahr und Herbst „Energietankstelle“ auf dem Weg zwischen Überwinterungs- und Brutgebiet. Anderen Arten hat die Biologie mehr Flexibilität mitgegeben. Wobei das „Lernprogramm“ des Individuums – beim Menschen würde man es vielleicht Erfahrung nennen – ebenso eine Rolle spielt wie die aktuellen Wetterbedingungen.

Pfeifenten beispielsweise „bleiben in der Regel so lange, wie es von den Temperaturen her irgendwie geht“, berichtet Günther aus den langfristigen Beobachtungen. Diesmal aber wurde es vielen von ihnen zu kalt: Um die Jahreswende stellten die Ornithologen größere Bewegungen bei den Pfeifenten fest, ein Großteil zog ins niederländische Wattenmeer, um dann im Februar wieder zurückzukehren.

Zehntausende von Vögeln aber – zumeist Austernfischer, aber auch viele Brandgänse, Eiderenten, kleinere Trupps von Pfeifenten und Alpenstrandläufer – haben doch im eisigen Wattenmeer ausgeharrt. Die Sterblichkeitsrate war dabei nach Erkenntnissen der Ornithologen vergleichsweise gering. Denn Leben und Tod liegen in der Natur oft dicht beieinander: Viele im gefrorenen Grund abgestorbene Kleintiere wie Muscheln und Würmer kamen an die Oberfläche – und sicherten das Überleben der Vögel.