„Jeder hat Geschichten in sich“

■ Die ZeitZeugenBörse ist eine Datenbank für Erinnerungen und Geschichten

Opas Geschichten kennt jeder. Seine Abenteuer während der Nachkriegszeit gibt er bei allen Familienfeiern zum besten. Oma hört schon gar nicht mehr hin, die Eltern können die Sätze bereits synchron mitsprechen, und die Enkel starren gelangweilt an die Decke und drehen Däumchen.

Doch nicht jeder hat einen Opa, und nicht jeder Opa hat alles erlebt. Woher bekommt man also jemanden, der bei der Olympiade 1936 dabei war oder den Wahnsinn des Krieges nicht mitmachen wollte und desertiert ist? Abhilfe schafft ein bislang einzigartiges Modellprojekt: die ZeitZeugenBörse (ZZB).

Mehr als 300 alte Menschen stellen hier ihre Erinnerungen über die Geschichte des Alltags der Öffentlichkeit zur Verfügung. „Wenn ein alter Mensch stirbt, verbrennt eine Bibliothek“, sagt Ingeburg Seldte, Initiatorin des Projekts. Nur ein Grund für die 75jährige, die Börse ins Leben zu rufen: „Viele der 55- bis 80jährigen Menschen wollen, daß das, was sie erlebt haben, nicht in Vergessenheit gerät.“ So steht bei der ZZB der Alltag der kleinen Leute im Vordergrund.

Seit einem Jahr arbeitet das aus Bundesmitteln finanzierte Projekt mit wachsendem Erfolg. Obwohl der große Pool der Alltagsgeschichte jedem offensteht, nutzen bislang meistens Journalisten das Angebot.

Ob ZDF, SFB, Radio Fritz oder sogar die BBC: Projektleiter Georg Eichinger gelingt es fast immer, den richtigen Gesprächspartner zu finden. Auch in den Schulen bringen die Geschichten der Zeitzeugen immer häufiger selbst chaotischste Klassen zum Zuhören.

„Ziel ist es“, erklärt Eichinger, „die Erinnerungsarbeit zu organisieren.“ Dabei geht es allerdings nicht nur darum, die Erfahrungsschätze zu sichern. Durch das Erzählen sollen die alten Menschen auch wieder mehr in die Gesellschaft eingegliedert werden. Die Möglichkeiten, sich in dem Projekt zu engagieren, sind groß.

In einem ersten Seminar lernen neue Zeitzeugen zuerst, ihre Erinnerungen zu ordnen und zu verarbeiten, weil es nicht leicht ist, einfach loszuerzählen. Wer dann dabei bleibt, kann sich in aufbauenden Workshops zum „Moderator“ oder „Zeitzeugensucher“ weiterbilden. Wem das noch zuviel ist, der kann beim monatlichen „Jour Fixe“ mit Experten über die Zeitzeugenarbeit diskutieren oder in der projekteigenen Zeitschrift mitarbeiten.

„Jeder hat Geschichten in sich“, sagt Georg Eichinger. Dennoch ist es nicht einfach, eine Datenbank aufzubauen: „Oft weiß man gar nicht, daß man zu einem bestimmten Thema ein Zeitzeuge ist.“ Für Opa war es die normalste Sache der Welt, in der Ackerstraße zu wohnen. Woher soll er auch wissen, daß ein Fernsehteam über „seine“ Straße einen Film drehen möchte? Falk Zielke