■ Die Union Rußland-Weißrußland – mehr als Nostalgie
: Slawische Hochzeit

Der russische Präsident Boris Jelzin spricht von einem historischen Moment. Alexander Lukaschenko, sein weißrussisches Gegenüber, sieht den historischen Fehler von 1991, die Sowjetunion aufzulösen, korrigiert. Diese großen Worte können jedoch kaum verdecken, worum es bei dem Unionsvertrag zwischen Rußland und Weißrußland wirklich geht: um Machtpolitik und die größtmögliche Ausnutzung des jeweils anderen für die eigenen Zwecke.

Minsk erhofft sich aus Moskau Finanzhilfen, um seine marode Wirtschaft auf Trab zu bringen. Dem angeschlagenen russischen Staatschef, der nur zweieinhalb Monate vor den Präsidentenwahlen noch immer nicht aus dem Meinungstief herausgekommen ist, soll die slawische Verlobung Stimmen aus dem Lager der Kommunisten und Nationalisten bescheren. Denn die liebäugeln seit jeher mit der Auferweckung der Unionsleiche und schwelgen in alter Sowjetnostalgie.

Der erste Mann Weißrußlands erweist sich dabei für Jelzin aber auch noch in anderer Hinsicht als effektiver Wahlkampfhelfer. Denn ginge es nur nach Alexander Lukaschenko, würde sich Weißrußland sofort ganz an die Brust des großen Bruders werfen. Der Apparatschik weiß sich dabei voll und ganz im Einklang mit den Wünschen und Interessen seines Volkes. Denn er bestimmt, was die weißrussischen Untertanen zu wollen haben. Kritiker der Union, die sich vor zwei Wochen in Minsk erdreisteten, ihren Widerstand öffentlich zu demonstrieren, ließ der Exvorsitzende einer Kolchose von der Polizei zusammenknüppeln. Ein Abgeordneter der weißrussischen Opposition flüchtete aus Angst vor einer Verhaftung in die Ukraine.

Auf das ungestüme Drängen des weißrussischen Präsidenten reagierte Jelzin mit dem Hinweis, daß es keinen gemeinsamen Staat geben werde. Damit kann der russische Präsident den besonnenen und zurückhaltenden Politiker mimen und Ängsten in Rußland vor einer Wiederauflage der Sowjetunion, wenn auch in anderer Form, vorbeugen. Doch das Manöver ist zu durchsichtig. Der in der vorigen Woche geschlossene Vertrag Rußlands mit Weißrußland, Kirgisien und Kasachstan sowie Rußlands Engagement in Georgien haben bereits gezeigt, wohin die Reise geht. Barbara Oertel