Minen zerfetzen Beine, rauben das Augenlicht, reißen Füße ab, und ihre Splitter töten. In Bosnien lauern Millionen dieser Fallen an Brückenpfeilern und Uferböschungen, auf Wiesen, im Wald und unter der Ackerkrume Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Die Minensuche wird 30 Jahre dauern

Der Rauchpilz auf den Hügeln des Stadtteils Grbavica ist vom Zentrum der Stadt Sarajevo aus gut zu sehen. Eine gewaltige Explosion hat die PassantInnen besorgt nach oben blicken lassen. Als sich herumgesprochen hat, was passiert ist, haben manche Tränen in den Augen. Zwei Kinder sind am vergangenen Samstag auf einem Sportplatz des ehemals von Serben besetzten Stadtteils auf eine Mine getreten. Beide wurden schwer verletzt, eines starb kurz danach im Krankenhaus. Allein in den vergangenen vier Wochen wurden siebzig Menschen Opfer der Minen.

„Die Minen“, sagt Rusmir Hamić, ein bosnischer Minenexperte, der eine eigene Firma zur Minensuche gegründet hat, „sind eines der größten Probleme Nachkriegsbosniens.“ Sechs bis zehn Millionen Minen seien während des Kriegs auf dem Territorium Bosnien-Herzegowinas verlegt worden, fast 7.000 Minenfelder gebe es. „Wir haben hier mehr Minen als Menschen.“

Vor allem an den ehemaligen Frontlinien liegen sie, die verdrahteten Schützensplitterminen, die Druck-, die Plastik- und die Panzerminen. Zu 90 Prozent stammen sie aus dem Arsenal der „Jugoslawischen Volksarmee“. Auch Bestände der ehemaligen DDR-Armee sind im bosnischen und kroatischen Krieg aufgetaucht. Da die Frontlinien nicht starr waren, sondern sich während des Krieges verschoben, sind ganze Landstriche von Minen verseucht. Sie liegen an Straßenrändern, an Brückenpfeilern, unter Uferböschungen, an Steilhängen, im Wald, auf Wiesen, unter der Ackerkrume. Bevor die serbische Polizei Grbavica am 19. März verlassen hat, seien noch einige Minen in Häusern, in Schulen, auf Spielplätzen und in Wohnungen verlegt worden, behaupten die Minensucher des bosnischen Zivilschutzes. Grbavica gehöre jetzt zu den gefährlichsten Plätzen auf der Welt, bestätigen Mitarbeiter der Militärorganisation Ifor und der UN-Administration in der Stadt. Sie vermuten, daß insgesamt mehr als 50.000 Gebäude vermint wurden. Vorsicht lassen die Soldaten der internationalen Truppe Ifor walten, die dreißig Kilometer nördlich von Sarajevo eine Brücke reparieren. Hier in dem Städtchen Visoko war die Frontlinie an den Stadtrand gerückt. An beiden Ufern des Bosnaflusses sind Minen verlegt, auf der einen von serbischen, auf der anderen von bosnischen Streitkräften. Bisher sucht die internationale Truppe nur dort Minen, wo sie selbst das Gelände für ihre eigenen Zwecke sichern muß.

„Für einen Trittpfad von drei Metern Länge haben unsere Spezialisten zwei Stunden gebraucht“, erklärt Hauptmann Martin Wehner, Mitglied eines deutschen Bundeswehrkontingents von 280 Mann, das hier Dienst tut. „Die Minensuche ist ein höchst komplexer und nach wie vor gefährlicher Vorgang. Unsere Spezialisten sind vier Jahre lang ausgebildet worden und lernen noch jeden Tag dazu.“

An Ausrüstung mangelt es den deutschen Soldaten in Gegensatz zu den bosnischen Minensuchern nicht. Immerhin gelang es mit einem modernen Antiminenpanzer, dem Keiler, einige Flächen um die Brücke herum minenfrei zu machen. Dieser Panzer, dem nicht einmal Panzerminen schaden können, wirft den Boden bis in einen Tiefe von fünfundzwanzig Zentimeter einfach zur Seite und bringt damit die Minen zur Explosion oder macht sie sichtbar. Die Spur, die er jedoch hinterläßt, gleicht einer Wüste, „da wächst erst einmal nichts mehr“, so der Kommentar des Hauptmanns. Der Keiler ist deshalb für eine großflächige Minensuche nicht geeignet. Mit Detektoren können Minen aus Metall relativ leicht geortet werden. „Das Vertrackte ist, daß die meisten hier gelegten Minen Plastikminen sind, die mühevoll per Handarbeit gefunden werden müssen“, sagt Hauptmann Wehner.

Aber selbst die geräumten Flächen bleiben noch gefährlich. Denn die eine oder andere Mine bleibt verborgen, während die Menschen glauben, das Gelände sei jetzt sicher. Ein Ifor-Soldat wurde nach der Minensuche verwundet, ein bosnischer Zivilist ebenfalls.

Daß im bosnischen Krieg mit allen von den Kriegskonventionen geächteten Mitteln gekämpft wurde, ist an den Minenfeldern ebenfalls abzulesen. Pläne über die Lage der Minen gibt es nur selten. Und kaum eine der Minen wurde deaktiviert. Manche Minen verfügen über einen Mechanismus, der sie nach vierzehn Tagen automatisch abschaltet. In Bosnien hielten sich die Armeen selten daran, diesen Mechanismus einzuschalten. Da die Minen zudem wasserdicht sind, können sie bei Hochwasser weggespült werden. So geraten auch bisher minenfreie Gebiete flußabwärts in Gefahr.

In der bosnischen Regierung ist man angesichts des Frühlings alarmiert. „Wie sollen wir die Menschen davon abhalten, auf die Felder zu gehen, wenn sie das Land bestellen wollen?“ fragen bosnische Offizielle. Und auch die ehemals Vertriebenen, die jetzt nach Bosnien zurückkehren sollen, seien in Gefahr. Denn sie hätten die Kriegszeit im Exil verbracht und seien weniger vorsichtig als die Hiergebliebenen. Mit etwa 10.000 Minenopfern sei in den nächsten Jahren zu rechnen.

Selbst wenn tausend Männer täglich Minen suchen würden, müßten dreißig Jahre veranschlagt werden, um die Region von Minen zu säubern, erklären gleichlautend UN-Offizielle und Ifor-Stellen in Sarajevo. Doch woher sind diese tausend Männer zu nehmen, wer wird diese Aktion finanzieren, wer die Leute ausbilden, die dazu nötig sind, wer wird die Geräte beschaffen? Bisher gibt es dafür noch kein durchdachtes Programm. Immerhin hat die Weltbank jetzt 200 Millionen Dollar für die Minensuche in Aussicht gestellt. Auch die US- Regierung will einen Teil der bewilligten Hilfsgelder für Bosnien zur Minensuche einsetzen. Und Ifor-Stellen überlegen, ob die internationale Truppe über ihre bisherigen Aufgaben hinaus bei der Minensuche tätig werden soll.

„Die Minensuche wird zum Geschäft, und die Bosnier gehen dabei leer aus“, befürchtet der Minenspezialist Rusmir Hanić, der im Auftrag der Soros-Stiftung und der bosnischen Regierung seit Jahren Schulen und andere öffentliche Gebäude von Minen räumt. Die Weltbank werde ausländische Firmen damit beauftragen. „Die Ausländer werden hohe Gehälter für diese gefährliche Arbeit fordern, unsere Leute jedoch, die auch Erfahrungen mit der Minensuche haben und nicht weniger Spezialisten sind als die Ausländer, werden, obwohl sie weit weniger Geld verlangen, leer ausgehen.“

Die Minensuche könnte Arbeitslose beschäftigen, könnte ein ökonomischer Impuls sein. Von internationaler Seite wird den bosnischen Behörden jedoch mangelnde Organisation vorgeworfen. Bis ein Kompromiß ausgehandelt ist, so steht zu befürchten, wird kostbare Zeit verstreichen. Die Gefahr, daß die Minen noch manches Opfer kosten und viele Menschen zu Krüppeln machen werden, ist längst nicht gebannt. Der Einsatz internationaler Hilfsorganisationen ist deshalb wünschenswert.