: Gefühle an der Grenze sind cool
■ Geschlechterkampf zwischen Gewalt und Begierde: das renommierte kroatische Tanztheater Montazstroj auf Kampnagel
Zum Schluß spuckt der Skinhead der Frau ein paar Mal auf den Nacken und leckt es wieder ab. Das ist nicht schön, hat aber auch was. Zumindest nachdem man sich mehrere Sequenzen des zwischen Gewalt und Begierde hin- und hergeschleuderten Stückes Everybody goes 2 Disco from Moscow 2 San Francisco angesehen hat. Denn die Compagnie Montazstroj aus Zagreb/Kroatien verpackt ihre Brutalität in Zärtlichkeit und ihre Kämpfe in Liebesringen, selbst wenn dabei ein Revolver knallt.
Allerdings ist das frei von Punk-Kitsch oder „Wir-Sind-Ja-So-Toughe-Typen“-Gehabe. Zwei Männer und eine Frau zelebrieren hier vielmehr eine ästhetische Form von Leidenschaft in Zeiten, wo Gefühle zeigen erst dann wieder cool wird, wenn man so richtig hinlangt. Entsprechend risikoreich sind die Schleuder-, Schlag- und Niederwerfbewegungen des Trios, das sich auf russische Konstruktivisten ebenso beruft wie auf jugoslawischen Fußball, auf Techno wie auf die Traditionen westeuropäischer Performing Arts.
Dabei ist der Choreograf der Compagnie, Borut Separovic, darum bemüht, den Kurzschluß „Kunst aus dem ehemaligen Jugoslawien gleich Kriegskunst“ im Vorfelde auszuschließen. Dennoch läßt sich die Assoziation nicht ganz verdrängen, wenn militärische Abläufe in die Choreografie Einzug halten, Fangschuß gespielt wird und gewalttätige Auseinandersetzungen die zentrale Rolle spielen. Ob es hier nun um Geschlechterkampf oder Bruderkrieg geht, ist im metaphorischen Raum des Theaters nicht mit programmatischen Aussagen zu scheiden.
Die im Jahr der Wende gegründete Tanzgruppe, die mit einer auf fünf Personen vergrößerten Version beim renommierten Tanzfestival in Bagnolet ausgezeichnet wurde, läßt sich durchaus in den Kontext der Performance-Kunst aus den ehemaligen jugoslawischen Staaten bringen. Das Spiel mit martialischen Gesten und Symbolen, die harsche Direktheit, mit der Gewalt dargestellt wird, ohne sie erklärend zu relativieren, die Lust am Exzess hat durchaus Parallelen mit den Künstlern aus dem benachbarten Slowenien, insbesondere natürlich von der Neuen Slowenischen Kunst. Doch im Gegensatz zu deren Stilisierungssucht erklären Montazstroj den Körper für die neue Entdeckung und stellen ihn weidlich aus. Pornographie ist deswegen ebenso plastisches Thema ihres Tanztheaters wie Technoräusche und Prügeleien. Und deren Darbietung ist durchaus ebenso elegant wie direkt.
Till Briegleb
Ab Sonnabend, 6. April, 19.30 Uhr, Kampnagel, k1, bis 13. April
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