Grau vonne Sozialhilfe

■ Uraufführung von "Bis Denver", dem neuen Stück des jungen Dramatikers Oliver Bukowski, am Theater Altenburg-Gera: Doofer Witz, gutes Stück

Horst Paschke, genannt Horschti, ist eine arme Sau. Bademeister in einem Kinderbad, das wahrscheinlich demnächst schließt beziehungsweise bereits dicht ist – nichts Genaues weiß man nicht, aber man kennt das; Paschke hat es nicht geschafft. Er knallt sich die Rübe mit dem einen oder anderen Dornkaatchen zu und schwadroniert den lieben langen Tag mit seinem nicht minder erfolglosen Kumpel Lothar Ackermann, genannt Lothi, über dies und das.

Andererseits Terre, Professor Terre nebst Gattin. Der Professor beschäftigt sich mit Ethik und füllt für die Illustrierte die Rubrik „Auf ein Wort, Professor“. Ansonsten: „Man sitzt sich schweigend gegenüber und ißt lächerlich kleine Happen“ (Regieanweisung) und sagt Sätze wie: „Hab ich dir ... / Wenn du ... / Zuerst du. / Nicht so wichtig, du zuerst.“ Die einen speisen Hirschfilet in Rotweinsauce und trinken dazu einen schweren Villages, die anderen sind „grau vonne Sozialhilfe, gelb von der Leberzirrhose und fett von die Döner-Kebabs“. Oben und unten, gut und böse, klare Verhältnisse will man meinen: das neue Stück des Berliner Dramatikers Oliver Bukowski (Jahrgang 61) heißt „Bis Denver“.

Bukowski, gewissermaßen Hausautor des Berliner theaters 89, dort und anderswo erfolgreich gespielter Dramatiker mit Ostvita, hat sozusagen eine Fortsetzung seines fast schon Klassiker zu nennenden „Wendestücks“ „Londn-LA- Lübbenau“ geschrieben. Haben da seine Helden, das Ehepaar Gretschke, „jene unbeachtete Mehrheit an Ostlern, noch einen letzten tragikomischen Versuch“ unternommen, „sich auf die Winnerseite der Marktwirtschaft hinüberzuretten“ (Bukowski), ist jetzt alles zu spät: Horschti und Lothi kriegen das nicht mehr gebacken. Nur durch einen dummen Zufall sind sie vorübergehend noch einmal dabei.

Der Zufall ist eine Leiche, das Stück also eigentlich ein Krimi. Terre, der neureiche Sohn des distinguierten Professors, ist im Kinderbad nach einer nächtlichen Orgie ersoffen; jetzt hat ihn Bademeister Paschke am Hals. Er versucht, einigermaßen amateurhaft, daraus Kapital zu schlagen: täuscht eine Entführung vor und will vom Professor Geld erpressen. Dieser jedoch ist mit Zander und Karamel- dipp beschäftigt; sein mißratener Sohn geht ihm am Arsch vorbei.

Paschkes Coup mißlingt naturgemäß. Sein Ende ist der finale Treffer eines Einsatzkommandos, Terres Trauer über den verlorenen Sohn ist kurz, man geht speisen. „Erst kommt kein Fressen und dann auch keine Moral.“ Nach Bukowski. Der Mann hat ein Herz für Loser – nicht nur die im Osten, aber vor allem die. Bukowski lacht mit ihnen und manchmal über sie, aber er lacht sie nicht aus.

Dafür haut der studierte Philosoph um so lieber auf die eigene Innung ein. Zander und Hirschfilet haben ihnen noch mehr Hirn geraubt als der Suff den Paschkes und Lothis. Zu einer Einfühlung in deren Lage sind sie nicht mehr fähig. Man mag das billig und sozialkitischig finden, aber manches muß schließlich von Zeit zu Zeit mal wieder gesagt werden.

Wem das zu blöd ist: Der Autor kann solche Stücke schreiben, weil er es kann. Eine Geschichte erfinden, witzig sein. Und mit dem immer wieder durchschlagenden Lausitzer Dialekt hat der gebürtige Cottbuser Bukowski eine Sprache gefunden, die ihn spielend mit dem Personal aus der Abteilung „fett von die Döner-Kebabs“ umgehen läßt.

Bei der Uraufführung in Altenburg-Gera, unter der Regie von Christine Harbot, hat man das offenbar genauso gesehen und nicht viel Firlefanz veranstaltet. Der Abend ist schnörkellos, die Bühne praktisch und folgerichtig mal Badeanstalt, mal gekachelte Küche, und die Schauspieler Bernd Wolf, Stefan Saborowski, Anke Teichner und Bello Burgi spielen sozusagen die kontrollierte Offensive.

Zum Schluß noch der Witz: Kumpel Ackermann zu Pascheke: „Also denn ... Bis denn, wa? Hörschte? „bis Denver“. Paschke (lacht kurz): „Guter Witz.“ Kritiker (Daumen hoch): Doofer Witz, gutes Stück. Andreas Lehmann