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Trotz Bauboom mehr Konkurse

Im Preiskrieg auf den großen Berliner Baustellen unterliegt der einheimische Mittelstand den internationalen Subunternehmern  ■ Von Hannes Koch und Uwe Rada

Bis zu den Knien stehen die Arbeiter im flüssigen Beton. Durch den langen Teleskoparm eines Pumpfahrzeugs strömt der graue Brei unablässig in die zehn Meter tiefe Baugrube. Drei Mann können das betonspeiende Endstück des Gummirohres kaum bändigen. Es schlägt hin und her wie der Rüssel eines wütenden Elefanten. 48 Stunden Knochenarbeit sind notwendig, um die Fundamentplatte des Bürokomplexes im Berliner Bezirk Mitte zu gießen.

„Dafür muß man nicht 70 Mark pro Stunde zahlen“, sagt Thomas Hüne, Sprecher des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg. 70 Mark rechnen kleine und mittlere Betriebe der Berliner Bauwirtschaft pro Arbeitsstunde eines Beschäftigten ab. Doch die großen Konzerne wie Bilfinger & Berger, Philipp Holzmann und Hochtief AG, die der Bauindustrieverband vertritt, drücken die Preise, wo es nur geht. „Man bekommt manches billiger“, weiß Thomas Hüne. Die zehn größten deutschen Baufirmen und eine Reihe Berliner Spezialbaubetriebe, die als Generalunternehmer die meisten Großbaustellen in der Hauptstadt im Griff haben, suchen sich deshalb lieber auswärtige Subunternehmer. Russische Arbeiter legen Fundamente für 15 Mark Stundenlohn, polnische Betonierkolonnen kosten ein paar Mark mehr. Auch britische Facharbeiter sind mit 40 Mark noch preisgünstiger als ihre deutschen Kollegen.

„Das sind Preise, bei denen wir nur mit den Ohren schlackern“, beschwert sich ein Kreuzberger Bauunternehmer, der kurz vor dem Konkurs steht. Sein 50-Mann- Betrieb muß mit den 70 Mark kalkulieren, damit Betriebskosten, Sozialabgaben und Verwaltungsaufwand hereinkommen. Die kleineren Betriebe des Berliner Baugewerbes gehen deshalb bei den gigantischen Bauprojekten am Potsdamer Platz, an der Friedrichstraße und den anderen Büroblöcken des neuen Zentrums meistens leer aus.

„Auf Großbaustellen arbeiten fast keine Mittelständler mehr“, sagt Wolf Burkhard Wenkel, Geschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau, die in Berlin und Brandenburg das Bauhandwerk vertritt. Seit geraumer Zeit schon schlägt die Lobbyorganisation Alarm. „Das Bauhauptgewerbe befindet sich in einem tiefen Umbruch“, warnt Kaspar-Dietrich Freymuth, Chef der Fachgemeinschaft. 30 Milliarden Mark würden zur Zeit in der Hauptstadt verbaut, doch fast 20 Prozent der einheimischen Bauarbeiter seien arbeitslos – mit steigender Tendenz. Eine paradoxe, bislang einmalige Krisenerscheinung. (Zahlen siehe Kasten) 380 Betriebe meldeten 1995 Konkurs an, für 1996 rechnet die Fachgemeinschaft mit einer ähnlichen Zahl. Akkord und Arbeitslosigkeit, Boom und Pleite: zwei Seiten derselben Medaille.

Die mittelständischen Betriebe leiden besonders unter der Internationalisierung des Bauens. Wurden die kleinen Unternehmen während der 80er Jahre häufig noch als Subunternehmer für Großaufträge engagiert, übernehmen heute oft billigere Anbieter aus dem europäischen Ausland diese Funktion, erklärt Bernd Bartholmai vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Die Konzerne verteilen ihre Aufträge zum Beispiel an die eigenen Tochterfirmen, die in Portugal, Spanien oder Großbritannien sitzen. Für dortige Bauarbeiter sind Löhne und Sozialabgaben geringer als in Deutschland.

Hinzu kommt, daß die Baukonjunktur in anderen Staaten Europas lahmt und die dortigen Bauarbeiter sich notgedrungen nach Broterwerb jenseits der Landesgrenzen umsehen müssen. Vermittlungsfirmen, etwa in den Niederlanden, bieten den deutschen Konzernen Maurer, Verputzer und Fliesenleger zu Dumpingpreisen an. Nicht wenige der ausländischen Arbeiter gelten im übrigen als sogenannte „Scheinselbständige“, die, obgleich nur eine Person, als unabhängiges Unternehmen arbeiten und sich im Heimatland eigentlich entsprechend versichern müßten. Aber viele tun das nicht, wodurch sie in Deutschland als billigere Arbeitskräfte auftreten können.

Arbeitslosigkeit im Inland bei gleichzeitiger Zuwanderung von außen kann einen Nährboden für Fremdenfeindlichkeit abgeben. Bauarbeiter drohen schon, „daß es bald knallt“. Und geht es nach dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), kann es nicht angehen, „daß auf den Baustellen kaum noch ein Wort Deutsch gesprochen wird“.

Bislang allerdings ließ sich der Ärger der Bauarbeiter noch halbwegs kanalisieren. Alle Hoffnungen richten sich auf das Entsendegesetz und die damit verbundene Festsetzung eines Mindestlohns, der die Zuwanderung von 15- Mark-Arbeitern begrenzen soll. Doch um den Mindestlohn liefern sich die Arbeitgeberverbände der Bauindustrie und des Handwerks einerseits und die Baugewerkschaft andererseits heftige Grabenkämpfe, die selbst der bundesweite Tarifschlichter, der frühere Verteidigungsminister Hans Apel (SPD), bislang nicht ausräumen konnte. (Siehe Seite 21 und Interview auf dieser Seite)

Die Baugewerkschaft fordert als Mindestlohn knapp 20 Mark, die sich an der niedrigsten Tarifgruppe für deutsche Arbeitnehmer orientieren. Während das Handwerk vermutlich mit rund 17 Mark einverstanden wäre, bieten die Konzerne der Bauindustrie bislang nicht mehr als 15 Mark.

Zum einen wollen sich die Konzerne ihre Gewinnmargen nicht kaputt machen lassen, zum anderen verspüren sie ebenfalls den Druck der internationalen Konkurrenz. Denn auch große Unternehmen aus Frankreich und anderen europäischen Ländern treten in Berlin als Mitbieter für die begehrten Großprojekte auf. Der Preiskampf ist gnadenlos und hat erst vor kurzem dem deutsch- österreichischen Maculan-Konzern das Genick gebrochen. Wegen zu hoher Kosten bei zu niedrigen Erlösen taumelte das Unternehmen in den Konkurs und bescherte dem Berliner Arbeitsamt weitere 1.000 arbeitslose Bauarbeiter.

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