Profil für die Elfenbeintürme

■ Hochschulchefs wollen mit Leitbildern und Konzepten im aufkeimenden Wettbewerb bestehen. Wo bleibt die Demokratie? Von Florian Marten

„Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir unsere Anstrengungen“ – mit mildem Spott beschreibt Detlef Müller-Böling, Chef des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh, die wilde Hektik, mit der sich gegenwärtig die angestaubten Selbstverwaltungsgremien der deutschen Hochschulen auf ein neues Zeitalter vorbereiten: Hochschulen werden, das weiß mittlerweile auch der letzte Unipräsident, künftig wirtschaftlich operieren und ihre Leistungen in Ausbildung, Forschung und für ihr regionales Umfeld deutlich verbessern müssen.

Jürgen Lüthje, Präsident der Universität Hamburg, räumt mit ungeschminkter Offenheit ein: „Wenn wir eins wissen, dann dies: In der Universität muß sich vieles ändern. Wir sind in einer Krisensituation.“ Nicht zuletzt deshalb hat die deutsche Hochschulrektorenkonferenz Anfang der 90er Jahre zusammen mit der Bertelsmannstiftung das CHE gegründet. Es soll als Beratungs- und Koordinierungsgremium eine Reform der deutschen Hochschullandschaft anschubsen und begleiten.

Direkter Auslöser für den plötzlichen Reformeifer sind neue Spielregeln bei der staatlichen Finanzierung: Künftig werden Hamburgs Elfenbeintürme eigene Budgets bekommen, aus denen sie Personal- und Sachkosten, eines Tages vielleicht sogar Investitionen eigenverantwortlich bestreiten. Damit könnte, so hoffen einige Reformer, das Managementchaos zwischen Uni-Selbstverwaltung, Uni-Verwaltungsapparat und der Wissenschaftsbehörde einer neuen und vernünftigeren Arbeitsteilung weichen: Politik und Behörde sind für die Rahmenbedingungen (Geld, Gesetze, Investitionen) zuständig, die Unis für die Gestaltung.

FH: Aufgepeppt

Derzeit bemühen sich Hamburger Hochschulen um eine Mixtur aus Gelehrtenrepublik und Dienstleistungsunternehmen (Müller-Böling) mit unterschiedlichem Engagement und Erfolg: Als erste brachte schon 1993 die Fachhochschule Hamburg ein sogenanntes „Struktur- und Entwicklungskonzept“ (Steko) auf den Weg, ein ehrgeiziger Versuch, durch Umbau von Studiengängen und Standorten der Herausforderung einer sich wandelnden StudentInnen-Nachfrage und dem ständigen Spardruck zu begegnen. Meßlatte der Reform sind die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes: So wurde der altbackene Fachbereich Bibliothekswesen durch den neuen Studiengang „Mediendokumentation“ aufgepeppt, der Lotsen fürs Zeitalter der Datenautobahnen ausbildet. Und seit diesem Semester werden die Studiengänge „Pflege und Gesundheit“ angeboten.

TU Harburg: Preußisch

Die Technische Universität als jüngste Hamburger Hochschule hält einen grundlegenden Wandel nicht für erforderlich, wie TU-Chef Hauke Trinks betont: „Wir sind jung, klein und knackig. Wir sind alles vernünftige Leute, Ingenieure. Wir haben eine straffe innere Einstellung. Wir brauchen keine neuen Strukturen.“ Da scheint der Korpsgeist des deutschen Ingenieurswesens zu sprechen, das seine historischen Wurzeln, die preußischen Militärakademien, nicht immer leugnen kann.

HWP: Aus dem Schatten

Von einem ebenso plötzlichen wie überfälligen Erneuerungswillen beseelt ist dagegen die Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP), die sich jahrzehntelang als zwar sozial und gesellschaftlich engagierte, aber eben doch nur zweitklassige Hochschule im Schatten der großen Universität duckte. Jetzt soll ein 1995 begonnener Hochschulentwicklungsprozeß die gesamte HWP erneuern, vom Forschungsetat über die studentische Betreuung und Ausbildungsordnung bis zu modernem Hochschulmanagement. Anhand eines Leitbildes soll in diesem Semester mit der Verwirklichung erster Reformschritte begonnen werden. In drei bis fünf Jahren, hofft Präsident Lothar Zechlin, wird die HWP große Teile des Runderneuerungsprozesses bewältigt haben.

Uni: Müder Moloch

Schwer tut sich die Universität Hamburg, die mittlerweile in vielen Fachbereichen zu den schlechtesten Forschungs- und Ausbildungsstätten Deutschlands zählt: Zwar hat sie mit ihrem Präsidenten Jürgen Lüthje einen Chefreformer, der die Zeichen der Zeit erkannt hat und für eine wirkliche Modernisierung kämpft – doch der müde Moloch ist nur mühsam in Bewegung zu setzen. Um ihn in Schwung zu bringen, hat Lüthje eine elfköpfige wissenschaftliche Beratungskommission mit Edel-Profs verschiedener Fachbereiche aus ganz Deutschland eingesetzt. Sie soll bis zum Herbst 1996 präzise Vorschläge zur, so Lüthje, „Erhaltung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit“ der Hamburger Uni machen.

Wohin die Reformreise genau gehen soll, ist den – mit Ausnahme der HWP – zumeist allein aus Unichefs, Beratungsunternehmen und handverlesenen Profs bestehenden Reformern zumeist weitgehend unklar. Müller-Böling bissig: „Die deutschen Hochschulen haben die Fähigkeit zu einer Organisationszielbildung verloren. Ich frage mich manchmal: Wo ist eigentlich die gemeinsame Zielsetzung einer Hochschule oder Fakultät, die über die gemeinsame Nutzung der Heizungsanlage hinausgeht?“

Das Dilemma eines Reformprozesses, der sich um die Formulierung von Zielen drückt, hat sich mittlerweile auch in den Hamburger Hochschulen herumgesprochen. Nach der HWP will jetzt auch die Fachhochschule, vom CHE beraten, in einen Zielbildungsprozeß einsteigen. Die Universität will erst die Ergebnisse ihrer Beratungskommission abwarten – die sollen im Herbst vorliegen.

Wie aber kommt eine Universität zu zukunftstauglichen Zielsetzungen? Von der ersten Demokratisierungswelle der 60er Jahre ist heute weit und breit nichts zu sehen. Aber: Institutionen, die ihre Reformen von oben nach unten entwickeln, laufen nicht nur Gefahr, die falschen Wege einzuschlagen. Sie verpassen auch die Chance, den Reformprozeß zu einer breiten Bewegung innerhalb der Hochschule, vielleicht auch darüber hinaus anwachsen zu lassen.

Bislang am weitesten vorgewagt hat sich hier die HWP: Hearings mit externen Experten, Politikern und AbsolventInnen, regelmäßige öffentliche Hochschulveranstaltungen und eine Lenkungsgruppe des Reformprozesses, an der alle Gruppen der Hochschule beteiligt sind, sollen ein Höchstmaß an Demokratie, Partizipation und Transparenz gewährleisten. Die einzelnen Reformmaßnahmen werden von offenen Projektgruppen entwickelt.

Auf einen wirklich demokratischen Reformprozeß, der StudentInnen und Lehrkörper, Verwaltung und gesellschaftliche Bedürfnisse gleichermaßen einbezieht, wartet die Hamburger Hochschullandschaft bislang jedoch vergeblich.