Die Straße der Kulis

Was wäre das Büro bloß ohne seine Accessoires? Ein Besuch in der Schreibwarenfabrik von Herlitz  ■ Von Lennart Paul

Kugelschreiber zum Beispiel. Oder auch Füllfederhalter, Bleistifte, Filzschreiber. In unserer technisierten Bürowelt sind sie der gemeinsame Nenner des Verstehens. Wer weiß schon, wie sein Computer arbeitet? Wer begreift, wie ein Drucker es schafft, acht Seiten pro Minute auszuspucken? Wer kann einen klemmenden Klammeraffen reparieren, ohne sich eine Klammer in die Fingerspitze zu hauen?

Kugelschreiber sind da unkomplizierter. Ihr Innenleben versteht jeder: Mine, Feder, Kappe, Hülse mit Druckknopf. Vielleicht ein kleiner Ring am Schraubverschluß.

In den Tegeler Borsigwerken des Schreibwarenherstelleres Herlitz wird alles produziert, was dem modernen Büro den letzten Schliff gibt: Prospekthüllen und Briefumschläge, Bleistifte und Schnellhefter, Ordner und Stiftboxen.

Zunächst geht es zur Stifteproduktion. Gelb und grün sind bei den Fasermalern die Farben der Stunde: Jede Montagestraße widmet sich nur einer Farbe. Die Einzelteile sind alle schon da – die Hülse, die Schreibspitze, der Tampon (So heißt das Röhrchen, das bei der Montage die Farbe aufsaugt und später wieder auf das Papier abgibt).

Seit Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ hat sich viel getan. Im Jahrzehnt der Gentechnik scheint die moderne Industrie nicht mehr so bedrohlich wie einst. Vollautomatische Montagestraßen, die pro Jahr 160 Millionen Schreibgeräte produzieren, können uns da nicht mehr erschrecken. Ulkig wirken diese Anlagen aber immer noch, auch wenn kein Chaplin gegen übergroße Zahnräder kämpft.

Jeder Produktionsweg hat seinen Höhepunkt. Bei den Filzstiften ist es der Moment, in dem die Maschine überprüft, ob die Stifte richtig liegen. Flink greift sie von oben zu und dreht alle in eine Richtung. An der Kugelschreiberstraße ist es der famose Augenblick, in dem die Einzelteile zusammengeschraubt werden. Mit einer gleichmäßigen Drehbewegung fügt die Maschine Ober- und Unterteil des Stiftes zusammen. Energisch, aber elegant. Ein grotesker Moment der Kugelschreiber-Genese.

Manfred Müller freut sich an diesen Kuriositäten nicht mehr. Seit vielen Jahren schon ist er Maschinenführer bei Herlitz. Müller füllt die Einzelteile der Fasermaler nach und überwacht den Montageablauf. „Spannend ist das hier nicht, eher ganz normal.“

Bei den Stiften ist noch jeder Schritt des Produktionsprozesses sichtbar. Andere Büroartikel bewahren das Geheimnis ihrer Entstehung. Die Ablagekörbe zum Beispiel, jene Plastikelemente, die mehrfach übereinander gestapelt Ordnung ins Papierchaos des Büros bringen sollen. Vorne stehen die Säcke mit kleinen, weißen Granulatkugeln. Dann folgt ein großer Apparat, für Außenstehende eine Black box. In ihm wird, für Besucher unsichtbar, geschmolzen, gefärbt, geformt und abgekühlt. Man sieht erst wieder die fertigen, noch lauwarmen, bunten Ablagekörbe.

Einige Stockwerke höher zeigen die Maschinen alles. Doch sie überrumpeln das menschliche Auge. 700 bis 800 Briefumschläge werden an diesem Band pro Minute gefertigt, aus einer 14.000 Meter langen Papierrolle. Die Umschläge rasen so schnell vorbei, daß sie immer noch wie ein durchgehendes Papierband aussehen.

Nach der Fertigung kommt die Qualitätskontrolle. Hier entscheiden Arbeiter, was aussortiert und was gestapelt, verpackt, auf Paletten gestellt, ins Lager gebracht und schließlich in die Geschäfte geliefert wird.

Herlitz, 1904 gegründet, war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Schreibwarengroßhandlung. 1953 begann die eigene Produktion. Die Firma bietet den Händlern ein Vollsortiment: In Selbstbedienungsmärkten wird eine Fläche wie ein eigenes Geschäft bewirtschaftet. Deswegen finden sich unter den mehr als 10.000 Produkten, die von Herlitz verkauft werden, auch Artikel von Konkurrenzfirmen wie Pelikan oder Rotring.

Nicht nur bei Büromöbeln, auch bei den Büroaccessoires spielt das Design eine wichtige Rolle. Eine klare Linie gibt es allerdings nicht mehr. „Wir leben in der Post-Postmoderne“, sagt der Herlitz-Designer Bernhard Hacker. „Da ist das Modediktat abgeschwächt. Man kann nicht sagen, daß Transparenz und runde Formen der Trend sind.“

Und doch, Ecken und Kanten verschwinden. Beim Stehsammler etwa, diesem Kasten aus Plastik oder Pappe. Die Oberseite des neuen Plastikmodells beschreibt eine gleichmäßige Kurve, die Seitenwände sind durchbrochen. Das spart Material – Design, Ökonomie und Ökologie ergänzen sich.