Geschäfte unter Birkenfeigen

Berlin, Stadt der Büros. Und wie eigentlich wünscht sich der Büromensch seinen Arbeitsplatz? Sachlich, gemütlich, chic, ökologisch oder etwas persönlich? In der Büroszene umgehört hat sich  ■ Kathi Seefeld

Eigentlich stört hier nur die Technik. „Es gibt so viele Büros, die aussehen wie das von Clyde Umney, daß es fast schon zu viele sind. Es war getäfelt mit quadratischen, künstlich gemaserten Sperrholzplatten, die in der Maserung rechtwinklig zueinander versetzt waren, um einen Schachbretteffekt zu erzielen. Die Beleuchtung war indirekt, der Teppich war Auslegware, die Möbel waren hell, die Sessel bequem und die Gebühren wahrscheinlich horrend.“ Sprach Privatschnüffler Philip Marlowe in Chandlers letztem Roman „Playback“. Das war 1958.

„Es gibt so viele Büros, die aussehen wie das, in dem ich jeden Tag sitze, daß es fast schon zu viele sind.“ Sprach jüngst eine ehemalige Kollegin und verwandelte ihren Schreibtisch vom Typ skandinavische Massenware in ein schwarz-rotes Monstrum, echt handkoloriert. Bei den Regalen machte sie auf halber Strecke schlapp, doch mit dem Hinweis auf die eigene Note ging selbst das in Ordnung. Sie nahm die Hundertwasser-Drucke von der Wand, stellte statt der Yucca einen gemeinen Kaktus in das Zimmer und erwachte am Morgen schweißgebadet. Alles nur geträumt. Lediglich der Mietpreis blieb horrend. Vor drei Wochen zog sie mit ihrer Agentur in den zweiten Hinterhof.

Berlin, die Metropole der zigtausend Büros, ist zur Zeit eine Stadt, in der Büros vor allem verlassen werden. „Uns sind durch die Senatskürzungen gerade zwei Projekte gestorben“, erzählt Verena Gaidar vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen mit Sitz in der Friedrichstraße. Die Möbel, von einem ABM-Projekt aufgearbeitetes VEB-Inventar, gehen zurück an die zuständige Servicegesellschaft BSU, ebenso die Computer. „Nur die vielen Aktenordner stellen wir in den Zimmern unter, die dem Institut noch verbleiben, vielleicht können die Projekte ja eines Tages weitergeführt werden.“ Für eine ökologische Ausstattung, wie sie sich Verena Gaidar und die anderen ursprünglich erträumt hatten, waren Gelder nie vorhanden. Sachmittel für einige wenige Naturholzmöbel wurden zusammengespart, schon beim alltäglichen Bürobedarf reichten die Mittel für etwas mehr Öko nicht.

Siemens ist da besser dran. Genaugenommen jene 45 MitarbeiterInnen, die in den Großraumbüros an der Nonnendammallee 101 den ganzen Tag am Computer sitzen, um die Verträge mit Siemens-Kunden zu verwalten, erklärt Bärbel Endruschat vom Bereich „Organisation und Information“. Siemens hat vor wenigen Jahren das Dachgeschoß ausbauen lassen, Arbeitsplätze nach dem neuesten Stand der Wissenschaft eingerichtet.

Papierchaos sucht man hier vergeblich. Alle Akten sind im Keller archiviert und können per Computer aufgerufen werden. Durch die Fenster fällt Tageslicht, die Möbel sind in hellem Grau gehalten. Das eigentlich Schöne aber sind jene Unmengen von Grünpflanzen, „die die Strenge auflockern und Ausruhpunkte für die Augen sein sollen“. Besprechungen finden hier nicht unter Palmen, aber immerhin unter einem Prachtexemplar von Birkenfeige statt.

Für Mirelle Müller im Großraum am Computer ist die helle, freundliche Atmosphäre des Büros entscheidend. „Wenn das mit den Pflanzen hier nicht so toll wäre, hätte ich mir sicher selbst etwas hingestellt“, sagt sie. Anderen Schnickschnack am Arbeitsplatz brauche sie nicht, keine Sprüche oder bunte Kalender, nichts Privates. Nur ein kleines rotes Papierherz an ihrem Computer. „Das haben hier zwar mehrere bekommen. Doch es ist von einer Freundin, und mir deshalb besonders wichtig.“

Für Michael Greulich, Anwalt aus Köpenick, ist anderes wichtig: Die Wand voller Bücher, eine bequeme Sitzgruppe, „auch eine ordentliche Musikanlage“. Wohnlich müsse es sein, seine Klienten seien schließlich keine geschniegelten Wirtschaftsbosse, sondern die Nachbarn von nebenan. Greulich taugt mit seinem Namen vielleicht nicht unbedingt für eine Fernsehserie, doch das Theater ist seine Leidenschaft. „Wer zu mir kommt, erfährt auch von meiner Nebenbeschäftigung, daß ich Liedertexte und Theaterszenen schreibe. Der kann die Fotos sehen, die Plakate oder die Aktenordner des Theatervereins.“ Kleinigkeiten wie eine Glaskugelsammlung oder ein paar rote Miniatur-Boxhandschuhe gibt es außerdem zu entdecken.

Das alles gefällt Michael Greulich sehr. Allem voran die Promenadenmischung, die er in Litauen vor dem Ersäufen gerettet hat. „Das einzige, was in meinem Büro offenbar nach Büro aussieht, ist wohl die Technik. Aber ohne Computer geht's ja nicht mehr.“ Wohl aber ohne Büro, so man die richtige Technik besitzt.

Steffen Siebert zum Beispiel. Er trägt seinen Arbeitsplatz seit einem Jahr mehr oder weniger durch die Gegend. Gerade will er zum ICE in Richtung Hannover. „Ich bin flexibel wie noch nie, kann faktisch von jedem Ort der Welt aus arbeiten. Handy und Laptop inklusive Modem, Zugang zum Internet, CD-ROM – allzuviel braucht man ja gar nicht“, sagt Siebert. „Akten, Adressen, alles dabei.“ Als was der gutfrisierte Zeitgenosse genau arbeitet, wollte er nicht verraten. Nur soviel: Die meisten Hotelzimmer auf der Welt seien seiner Meinung nach erheblich preiswerter als die Miete für ein Büro in Berlin. Ärger mit stehengelassenen Kaffeetassen habe er jedenfalls nicht mehr.

Derartigen Zoff wollen sich die vier Männer von „Mannege“, Information und Beratung für Männer, die sich im Haus der Demokratie in Ostberlin keine 20 Quadratmeter teilen, ebenfalls ersparen. In ihrem Büro hängt eine Drehscheibe, die sagt, wer heute mit dem Abwasch dran ist. Hübsch ordentlich stehen alle Tassen auf dem Brett neben der Kaffemaschine.

„Ansonsten haben wir eher ein typisch männliches Büro. Bei uns halten sich zum Beispiel keine Grünpflanzen“, sagt Christian Spoden. „Spontan fällt mir auch nichts liebevolles, weibliches ein, was für unsere vier Wände typisch wäre. Aber immerhin, es hängen auch keine Diplome an der Wand.“ Christian Spoden mag das Büro, auch wenn es ihm nicht gefällt. „Wir haben jetzt alles sehr funktional eingerichtet, suchen aber weiter nach größeren, bezahlbaren Räumen.“

Sonja Bergmann braucht nicht zu suchen. Ihr Büro am Alexanderplatz wird bald umgebaut. So wie der gesamte S-Bahnhof. „Ich habe es mir hier ein bißchen nett gemacht. Der Kunde bekommt sofort einen Eindruck von der Sauberkeit und Freundlichkeit, die hier herrscht. Das ist doch wichtig.“ Ob sie nach dem Umbau noch am Alex arbeiten wird, weiß die Toilettenfrau allerdings nicht.