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Surreale WG-Atmosphäre

■ Armin Petras inszenierte die Uraufführung von Trolles "baugrube" am BE

Seit 25 Jahren sei er ein junger Autor, sagte Heiner Müller einmal über seinen Freund und Schriftstellerkollegen Lothar Trolle. In den Achtzigern war das. Da hatte Trolle die Vierzig schon überschritten. Inzwischen ist er 52 und immer noch ein junger Autor.

Auf der Suche nach neuen Formen des Dramas ist Trolle schon lange. Drama ohne Konflikt, das interessiert ihn, Drama als Abfolge von Sinneseindrücken, als Nation kleinster Handlungsdetails, die jedoch Strukturen offenlegen, seien es die des Bewußtseins oder die der Gesellschaft. In der „baugrube“ gibt es weder Punkt noch Komma, weder Dialoge noch Regieanweisungen. Der in sich geschlossene Textfluß könnte auch als Kurzroman durchgehen, angelehnt an die Großaufnahme- und Schnittechnik des Nouveau roman.

Als Andrej Platonow 1929/30 seine märchenhafte Geschichte vom Aushub einer Baugrube schrieb, die dereinst die Fundamente eines gigantischen Wohnturms proletarischer Glückseligkeit beherbergen soll, steckte die Neue Ökonomische Politik in ihrer Endphase. Die Welle der Kollektivierungen hatte begonnen. Schon bei Platonow bleibt von der mit übermenschlicher Kraftanstrengung betriebenen Erzwingung des Paradieses kaum etwas übrig. Das Riesenloch wird zum Grab.

Mittlerweile hat die Wirklichkeit diese Vision längst eingeholt. Vom Glücksexperiment Sozialismus sind nur noch Papierberge übrig, die kleinwüchsige Märchenbauern ratlos durchwaten. So jedenfalls bebildert der 28jährige Regisseur Armin Petras Trolles Textangebot. Eine besserwisserische Analyse der Gründe aus der bequemen Sicht des Nachgeborenen erspart der Autor sich (und uns) bei seiner Nach- und Weiterdichtung. Er zieht lakonisch Fazit, beschreibt Menschen, die sich auf der Suche nach Verheißung durch fast gar nichts beirren lassen.

Das hat viel von einer tragischen Komödie. Und genau so behandelt Regisseur Petras den Stoff in dieser Koproduktion des BE und des Kleisttheaters Frankfurt (Oder). Seine Baubrigade ähnelt einer Alternativkommune aus den Siebzigern. Clowneske Spontis in gehäkelten Patchwork-Pullis, anarcho- optimistische Malocher – mehr Dick und Doof als Marx und Lenin. Gunnar Teuber und Meinolf Steiner geben ein münderzuckendes Slapstickprogramm, Nino Sandow ist ein felsenfester Proletenbrocken. Auch die anderen Aktivisten (Andrej Kaminsky, Axel Werner, Klaus Hecke) gratwandern präzis durch die surreale WG- Atmosphäre.

So poltern und purzeln die Neuerer im Bilderwald umher, im festen Glauben, nach vorn zu schreiten, und dabei bewegen sie sich doch nur im Kreis. In jeder Hoffnungslosigkeit steckt ein Stück Hoffnung. Und wenn's sein muß, kann man ihr auch noch im Rollstuhl hinterherfahren.

Daß die übergroßen Utopien eigentlich nur piefig-kleines Format haben, wird schon am Anfang klar. Das Turmmodell, das der aus einer DDR-Persiflage entsprungene Baustellenleiter (Martin Seifert) und sein fisteliger Adlatus (Barbara Philipp) hereintragen, sieht aus wie eine Geburtstagstorte. Die Utopiensteppe knapp vorm Paradies besteht bei Petras und seinen Ausstattern (Bernd Schneider/ Philipp Stölzl) aus einer vollgestopften Bilder- und Zitatenwelt. Ist der Bauplatz zunächst noch ein schützendes Zelt, so verwandelt er sich später in eine Polarwüste, wo selbst dem Schneemann die Augen ausgestochen sind.

Zentrierendes Moment in dieser bildermächtigen Assoziationscollage ist eine blinde Erzählerin (Cristin König). Keine Kassandra, denn zu orakeln gibt es nichts. Wie ein Story-DJ trohnt sie hinter den fahrbaren Turn-Tables und legt Platten auf. Eine zerkratzte Reise durch den Trash der Seventies. Ost und West. Petras geizt nicht mit visuellen Mitteln. Filmeinspielungen und poetische Bilder, die immer dann kippen, wenn es so richtig gefühlig wird. Die Reizüberflutung spiegelt jedoch, bei aller Absurdität, die Hilflosigkeit angesichts des Scheiterns kollektivierten Glücks wider. Wie es heute eben ist. Eine Parabel auf die „Dritte-Welt-Situation“, wie Trolle in einem Interview als mögliche Lesart seines Materials vorschlägt, hat Petras nicht auf die Bühne gestellt. Gerd Hartmann

„die baugrube“, wieder am 8., 22.4., 19.30 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1

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