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Wand und BodenSchöner Schlund

■ Kunst in Berlin jetzt: Steir, Huber-Wilkoff, Rizkalla, Heyden

Man kann Fliegenbeine zählen. Rudolf Huber-Wilkoff erzählt mit ihnen. Allerdings: Was sagen die Fliegenbeine tatsächlich, die der Münchner Künstler 1991 im Siebdruck reproduzierte und vergrößerte und die noch immer auf dem Türglas zu lesen sind, das den Studiogang des Künstlerhauses Bethanien abschließt? Jetzt ist Huber-Wilkoff wieder im Bethanien und analysiert „Die Sehnsucht des Bildes nach dem Wort“. Wenngleich, streng genommen, das Wort bei ihm mehr Sehnsucht nach dem Bild zu haben scheint. Denn seinen Schriftzeichen mangelt es deutlich an Lesbarkeit. Das macht sie einerseits zu reinen abstrakten Bildern, andererseits identifiziert man sie ohne weiteres als Zeichen, die man unbedingt der Schrift und einem konkreten Wortlaut zuordnen möchte.

„Die Sehnsucht des Bildes nach dem Wort“ meint natürlich die Gewohnheit, mit dem Wort die Interpretation des Bildes zu steuern, zu begrenzen, zu kontrollieren. Bild und Wort stehen gewöhnlich in einem Verweisungszusammenhang. Das deutet das schwarze, weichgepolsterte und in ebensolche Klammern gesetzte „&“ an der Stirnwand des Studios III an. Was aber, wenn das Bild nicht dem Text entspricht? „Auch ein Beitrag zur Geschichte der Denksysteme: Foucault mit vollem Haupthaar, 18jährig“ ist nämlich nirgends zu sehen. Und was, wenn die Headlines, die Huber-Wilkoff während des Golfkriegs aus arabischen Tageszeitungen ausschnitt, nur noch Bruchstücke von Signifikation sind, weil er sie fotokopierte, konterte und wieder zu einem Zeichen verschmelzte?

Immerhin erkennt man hinter der „Rangliste“, die in der Art von Logos die Silben „Olan“, „Lez“, „Cady“, „Feli“, „Gonz“, „Torre“ untereinanderstaffelt, die Namen von Felix Gonzalez-Torres und Cady Noland. Wir sind abgerichtet, überall Sinn, Namen, Begriffe auszumachen. Daher: Sehen wir, streng genommen, eigentlich jemals Bilder? Sehen wir nicht immer nur Kon-Text, Gegenstände, Allegorien, Handwerk, Flachheit, Farbe? Was unterscheidet diese Momente als spezifisch bildlich von der Schrift?

Bis 14.4., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2

Die Frage wird brisant angesichts der „New Paintings“ von Pat Steir bei Franck + Schulte. Den Drip paintings von Jackson Pollock nicht unähnlich, stürzt bei ihr die Farbe in Bächen die Leinwand hinab. Interessanterweise beschreibt die 55jährige New Yorker Künstlerin, die in der Kunstwelt in den letzten zehn Jahren einen rasanten Aufstieg erlebte, ihre Malweise als „Kalligrafie“. Und paradox genug führt diese Kalligraphie dazu, daß sich die Abstraktion von Pollock bei ihr in realistische Wasserfälle oder in eine großartige Woge verwandelt, wie bei „Wind and Water for Berlin II“, 1996.

Alle ausgestellten Arbeiten sind quadratische Formate. Monumental mit den fast drei mal drei Metern beim Wind für Berlin, etwas handlicher bei „Night to Day“ oder „Perfect Sea Evening“. Dennoch bleibt auch hier der Eindruck suggestiv und lebendig: Nähert man sich dem Bild, meint man in den Nebel der Gischt zu treten, die Steir mit ihren Farbströmen evoziert. Gleichzeitig erkennt man im Spiel mit der Illusion die Methode minimaler Malerei. Ein einheitlicher Farbton, mal mehr grauweiß oder braunweiß, blau oder lila, beherrscht die Bildfläche, die durch den gleichförmigen Farbauftrag strukturiert wird. Weiße Kleckse, Verdichtungen der Farbspuren und immer einige rote Tupfen scheinen dem Farbfeld Tiefe und Bewegung zu geben und hebeln die Statik der Abstraktion aus.

Bis 27.4., Mo.–Fr. 11–18, Sa. 11–15 Uhr, Mommsenstraße 56

Noch einmal zurück ins Bethanien. Im Studio II hat der in Melbourne lebende Künstler Alex Rizkalla einen hyperästhetischen Show room des Kraft- durch-Freude-Körpers arrangiert. Auf die Titelblätter der Deutschen Leibeszucht und Blätter eines medizinischen Atlas, mit Längsschnitten von Kopf, Auge und Herz, druckt Rizkalla das wachsame Auge Gottes, des Königs und der Revolution. Der ideale Körper, ob männlich oder weiblich, ist kompakt, die Haut ein undurchdringlicher Firnis.

Dagegen stehen in zwei Schaufenstervitrinen medizinische Folterinstrumente, Beinprothesen und Wachsmodelle von durch chemische Kampfstoffe oder Strahlenschäden verletzter Haut. Eine große schwarze Trennwand trägt an ihrer Rückseite 48 Diaprojektoren, die die Bilder des heroischen Körpers auf und neben ein Rechteck aus Emailleschüsseln an der Stirnwand werfen. An der Vorderseite der Trennwand sind Karteikästen angebracht, deren Deckel Szenen aus dem „Jungbrunnen“ Cranachs zieren, während die Kästen mit künstlichen Zähnen, Zwickern oder Fieberthermometern gefüllt sind. Neben viel Foucault bleibt die Erkenntnis, daß unsere Gebrechlichkeit die beste Waffe ist im Widerstand gegen den gepanzerten Körper der Schönheit und Jugend.

Bis 14.4., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2

Zwei zarte, leichte Körper aus Papier hat Freda Heyden in der Matthäuskirche zum Schweben gebracht: „Zwei Hörner“. Ihre Außenhaut wirkt knöchern, hart, gelblich-bräunlich, trocken, hornimitierend. Im Innern sind sie mit Plissees aus sublimem Braun gefüllt. Naß glänzend, leuchtend, irgendwie kuschlig, vertrauenerweckend. Ein schöner Schlund. Allerdings tonlos, als Horn wie als Schlund. Vielleicht ein Geburtskanal? Von der einen Seite fällt der Blick jedenfalls durch beide Röhren, von der anderen verhindert das der Winkel, in dem die Hörner zueinander stehen. Und der Kirchenraum ist zu protestantisch, zu eindeutig für die vieldeutigen Körper. Trotz ihres mächtigen Volumens wirken sie ein wenig verloren.

Bis 20.4., Mi.–So. 12–18 Uhr, St. Matthäus, Matthäikirchplatz Brigitte Werneburg

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