Besetzer sind nach einem Jahr legale Besitzer

■ Seit 15 Jahren regelt die „Berliner Linie“ den Umgang der Polizei mit besetzten Häusern, gibt aber keine Garantien. Entscheidend für eine Räumung ist vor allem das Zivilrecht

Anfang der achtziger Jahre schwappte zum erstenmal eine Besetzerwelle über Berlin. Über 150 leerstehende Häuser wurden innerhalb weniger Monate besetzt. Eine der letzten Amtshandlungen des krisengeschüttelten SPD-Senats war die Einführung der sogenannten Berliner Linie. Sie ist eine verwaltungsinterne Regel für den polizeilichen Umgang mit den Besetzungen und geht auf einen Senatsbeschluß von 1981 zurück. Gesetzeskraft hat diese Selbstverpflichtung der Verwaltung allerdings nicht. Im Volksmund wird sie auf die Kurzformel „Neubesetzungen räumen, Altbesetzungen dulden“ gebracht. In Wirklichkeit regelt sie aber ausschließlich die Voraussetzungen für eine Räumung und gibt keine Garantien für den Bestand besetzter Häuser.

Laut Berliner Linie hat die Polizei „nach Möglichkeit Hausbesetzungen zu verhindern“. Bereits besetzte Häuser können geräumt werden, wenn der Eigentümer Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellt und glaubhaft macht, daß „Abriß- oder Instandsetzungsarbeiten ohne polizeiliche Hilfe nicht durchgeführt werden können, und er unverzüglich nach der Räumung damit beginnen wird“. Bei Altbesetzungen sollen Polizeimaßnahmen zusätzlich „im Einzelfall nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft werden“.

„Die Berliner Linie ist ein Repressionselement gegen Neubesetzungen, nichts weiter“, stellen rechtskundige Besetzer klar. So ist es kein Wunder, daß sich bis heute alle Innensenatoren zur Berliner Linie bekannten. Rechtlichen Schutz finden Besetzer nur im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Hausbesetzung fällt hier unter den Begriff „Besitzentziehung in verbotener Eigenmacht“. Innerhalb des ersten Jahres kann der Hausbesitzer noch die Herausgabe seines Hauses per einstweilige Verfügung verlangen. Danach aber erlischt sein Besitzanspruch. Er ist dann nur noch Eigentümer. Legale Besitzer sind von da an die Besetzer. Versucht nun der Eigentümer die Besetzer auf eigene Faust aus dem Haus zu vertreiben, begeht er Hausfriedensbruch und verstößt gegen dieselben Gesetze wie die Hausbewohner am Tage der Besetzung. Für eine Räumung benötigt er jetzt ein gerichtliches Räumungsurteil. Im Normalfall muß er die Bewohner einzeln aus dem Haus klagen. Das kann sich über Jahre hinziehen.

Die Besetzer müssen allerdings belegen, daß sie über ein Jahr in dem Haus leben. Dabei zählt nicht der Tag der Erstbesetzung, sondern der persönliche Einzugsstag. Ein mögliches Indiz dafür ist die polizeiliche Anmeldung. Diese zu bekommen ist jedoch nicht ganz einfach, da die Wohnungsvergabe eigentlich durch den Hauseigentümer bestätigt werden muß. Besetzer wohnen daher oftmals ohne polizeiliche Anmeldung. Das nutzen Polizei und Eigentümer häufig zu der Behauptung, das Haus sei unbewohnt, solange niemand darin gemeldet sei. Für Anwälte, die Besetzer vertreten, ist diese Annahme unhaltbar: Ausschlaggebend sei nur die Dauer der tatsächlichen Besetzung.

Den beiden Räumungen der vergangenen Woche gingen Räumungsurteile voraus. Eine Bewohnerin der Kleinen Hamburger Straße 5 war dazu verurteilt worden, das gesamte Haus herauszugeben, da es gemeinschaftlich bewohnt werde. In der Palisadenstraße 49 gab es Räumungsurteile gegen zwei dort gemeldete Personen, die aber gar nicht dort wohnten. Die Polizei glaubte der Behauptung des Eigentümers, daß das Haus nun leer gestanden habe. Alle im Haus Anwesenden mußten also Neubesetzer ohne Rechtsschutz sein. Wenn die Geräumten beweisen könnten, daß sie länger als ein Jahr im Haus wohnten, wäre die Räumung widerrechtlich. Persönliche Unterlagen und ein Hausbuch, die als Beweismaterial dienen könnten, wurden nach der Räumung von der Kriminalpolizei einkassiert. Gereon Asmuth