Vernunftlose Masse Mensch

Sublime Scherze mit Bauern und Banditen: Zum 250. Geburtstag Francisco Goyas ist eine Gemäldeausstellung im Prado von Madrid zu sehen. Die graphischen Zyklen fehlen – und mit ihnen Satire, Spott und krasser Witz  ■ Von Gabriele Hoffmann

Francisco Goya von seinen vier graphischen Zyklen zu trennen und ihn nur als Maler zu präsentieren, kommt einer Amputation gleich. Das bestätigt eine Ausstellung im Prado zu seinem 250. Geburtstag mit 170 Gemälden, davon 128 aus eigenem Besitz. Umgekehrt hat die Vereinnahmung des Autors der „Caprichos“ und der „Desastres de la guerra“ als Moralisten auch nur dazu geführt, daß die innere Zerrissenheit Goyas als der eigentliche Ursprung seines widersprüchlichen Werkes bis heute verborgen geblieben ist.

Nach solider Ausbildung durch einen akademisch geschulten Maler in Zaragoza und zwei vergeblichen Versuchen, in die Madrider Akademie San Fernando aufgenommen zu werden, zog es Goya vor, sich in Italien weiterzubilden, bevor er sich wieder in Zaragoza niederließ und mit gefälligen Jagd- und Genreszenen schnell Anerkennung fand. Erst die Heirat mit Josefa Bayeu, der Schwester des karrierebewußten Malerkollegen Francisco Bayeu, weckte auch in Goya die Lust, das geruhsame Leben in der Provinz gegen die Beteiligung am Madrider Gerangel um einen Platz als Maler des Königs einzutauschen. In aller Breite präsentiert der Prado die Lehre, in der Goya sich mit großem Geschick den von Mengs und Tiepolo gesetzten neuen Standards der Akademie- und Hofkunst beugt.

Nichts wäre verfehlter, als dem offenkundigen Einverständnis mit seinen Sujets, den Freuden des Jagdlebens und der modischen Spiele und Rangeleien von Majos und Majas, zu mißtrauen. Schon in den ersten Serien mit Tapisserieentwürfen für die königlichen Residenzen versteht es Goya, mit malerischer Bravour die neue aufklärerische Gesinnung Karls III. und die alles Fremde verachtende spanische Volksseele in seinen Bildern „politisch korrekt“ zu verbinden: Nach französischer Rokokomode gekleidete Aristokraten und schlapphütige Gecken treiben ihre Scherze mit Bauern und Banditen. In hellem, pastellfarbigem Kolorit setzt der Maler Galantes und Pikantes silhouettenhaft gegen einen Himmel, an dem noch keine Wolken das heitere Bild des Machismo verdüstern.

Erst in den späten Arbeiten auf Karton für den Pradopalast verfliegt der harmlos burleske Ton. Eisiges Graublau umhüllt die frierenden Bauern im „Winter“-Bild einer Jahreszeitenfolge. Mit kompositorischer Vereinfachung gibt der erfolgreiche „Maler des Königs“ alltäglichen Ereignissen, beispielsweise der Verletzung eines Maurers, eine Bedeutung, die nur vor dem Hintergrund des Reformkurses Karls III. verständlich wird. Dazu gehören erste zaghafte Versuche für eine gesetzliche Sicherung der unteren Volksschichten. Aus dem Todesjahr des aufgeschlossenen Bourbonenkönigs stammt der Tapisserieentwurf „Die Wiese von San Isidor“. Ein Panoramabild aus der Vogelperspektive, das in flüssig skizzierendem Helldunkel das kirchliche Fest des Patrons von Madrid von seiner profanen Seite her mit Geselligkeit und Picknick im Abendlicht eines Maitages zeigt. Goya bediente sich jetzt gleichzeitig verschiedener Malstile. Bei den letzten Kartonarbeiten für die Madrider Manufaktur zwischen 1788 und 1792 kommt ein spöttisch-distanzierter Ton in die klassizistisch streng gebauten Kompositionen, mit puppenhaft erstarrten Figuren bei Stelzenläufern und „Blindekuhspiel“, eine wohl nicht ganz ernst gemeinte Verbeugung vor der von Anton Raphael Mengs vorgegebenen Nobilitierung der Malerei. Ein Abgrund trennt die spröden Auftragsarbeiten mit religiöser Thematik aus den achtziger Jahren von Goyas Spätwerk „Die letzte Kommunion des San José Calasanz“, das der 73jährige für das Kollegium der Escuelas Pias von San Antón malte. Die von allen konventionellen Effekten entblößte Malerei mit der Darstellung der geistigen Zwiesprache zwischen einem Priester und dem todgeweihten Heiligen gehört zu Goyas eigener Konfession, als er sich im gleichen Jahr von einer schweren Krankheit erholt hatte (besonders schmerzlich vermißt man in dieser Ausstellung Goyas Selbstporträt mit dem Arzt Arrieta aus dem selben Jahr; es hängt im Institute of Arts, Minneapolis).

Was sich in Skizzenbüchern und den Caprichos an Satire, Spott und Witz über den Glauben an die menschliche Vernunft und die Segnungen der Kirche ergießt, läßt sich in der Malerei – vor allem im Porträt – nur in sehr sublimierter Form wiederfinden. Doch der zum Ersten Maler des Königs aufgestiegene Goya nutzt am Ende des Jahrhunderts alle malerischen Freiheiten in Farbauftrag und Komposition für die psychologische Differenzierung. In den Porträts der Mitglieder der Familie Karls IV., der Höflinge und Minister stellt Goya mit der detailgetreuen Wiedergabe von allem, was die höfische Etikette vorschreibt, wundersam steife Kostümfiguren auf, die für die in den Caprichos ausgebreiteten menschlichen Launen und Schwächen geradezustehen scheinen. Selbst das Familienbild der Osanas, denen Goya große Sympathie entgegenbrachte, entbehrt in der äußerst disziplinierten Malerei mit ihrer feinen Tonabstufung im Graugrün nicht einer leisen mitleidvollen Ironie. Denkt man an die politisch explosiven Jahre der Regierung des Franzosenvasalls Ferdinand VII., so erscheinen die beiden karikaturnahen offiziellen Bildnisse, die in der Ausstellung sehr sinnvoll die Bilder mit den Ereignissen des 2. und 3. Mai 1708 rahmen, als Spiel mit dem Feuer.

Unter den Porträts der aufgeklärten Freunde des Künstlers ist das des Ministers Jovellanos – entstanden kurz vor dessen politischer Entmachtung – ein besonders gelungenes Beispiel für Goyas Spätstil, der mit brüchig-pastosem Farbauftrag ein malerisches Äquivalent für die selbsterlebte Zerissenheit zwischen Loyalität gegenüber dem König und persönlicher Verantwortung suchte. Zu den wichtigsten Leihgaben der Madrider Schau gehört das Bild aus Stockholm „Spanien, die Zeit und die Historie“, eine Allegorie auf die Annahme der Verfassung von 1812. Ein Lichtstrom aus vielfarbig schimmerndem Weiß verschmilzt mit dem Flügel des Chronos, der sein Stundenglas gewendet hat und zum Aufbruch in eine neue Zeit drängt. Eine Hoffnung, die mit der Rückkehr Ferdinands VII. 1814 und der Wiedereinführung von Inquisition und politischer Verfolgung erledigt war.

Der Aufstand des Volkes gegen die napoleonische Besatzung hatte keine Freiheit gebracht, dafür aber einen verlustreichen Unabhängigkeitskrieg mit nachfolgender Restauration. Wer wie Goya mit dem versklavten und getäuschten spanischen Volk fühlte und gleichzeitig die Ideen der Französischen Revolution begrüßte, konnte keinen Frieden mit sich selbst schließen. Und so entläßt der Maler aus seiner Phantasie Dämonen wie den namenlosen „Koloß“ über einer Stadt oder schwarze, übergroße Schattenfiguren hinter zwei rotbackigen „Majas auf dem Balkon“. In den 14 „Schwarzen Gemälden“, die er mit Ölfarbe auf die Wände seines Landhauses gemalt hatte, formiert sich die vernunftlose Masse Mensch zu Prozessionen oder lauscht den Belehrungen eines Tiermonsters. Dem menschenfressenden Saturn rinnt grellrotes Blut aus dem aufgerissenen Maul, ein Hundekopf versinkt in einem Meer gespenstisch hellen Lichtes. Leocadia, Goyas Lebensgefährtin, lehnt im schwarzen Kleid an einer Friedhofsmauer. In ihrem traurigen Blick hat sich ein Rest von Menschlichkeit gesammelt, für Goya ein Trost in den letzten Jahren im Exil in Bordeaux vor seinem Tod 1828.

Bis 2. Juni. Der nur in Spanisch erhältliche Katalog kostet 4.500 Peseten