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Ein Stau voller Schrott und Müll

Polnische Autobastler ersticken die Grenzstadt Guben in einer Blechlawine aus Unfallwagen. Anwohner, Zollbeamte und Kommune sind hilflos gegen Krach, Gestank und Abfälle  ■ Aus Guben Christoph Oellers

Seit 14 Tagen herrscht in der Grenzstadt Guben akuter Staunotstand. Wer bei der Einreise nach Polen etwas zu verzollen hat, muß Wartezeiten von durchschnittlich 40 Stunden in Kauf nehmen. Schuld sind nicht der sprunghaft gestiegene Handel zwischen Polen und Deutschland, auch nicht der vorösterliche Reiseverkehr oder die polnischen Zöllner. Sogenannnte Lafettenfahrzeuge sind es, die das Stauchaos verursacht haben. Lafettenfahrzeuge, damit sind Pkws mit Anhänger gemeint, auf denen ein Unfallfahrzeug geladen ist.

Der Stau in Guben sieht aus, als wolle sich das halbe polnische Volk mit in Deutschland oder Frankreich havarierten Westautos eindecken. Der Grund auf den Run ist, daß die Regierung in Warschau angekündigt hat, die Einfuhrbestimmungen drastisch zu verschärfen. So sollen in Zukunft nur noch komplette Autos die Grenze passieren dürfen. Bislang schrauben die Polen ihre Schrottwagen vor der Grenze auseinander, um den Wert zu senken und damit den Zoll möglichst gering zu halten. Die Einfuhr von Einzelteilen ist billiger. Der handwerkliche Einsatz spart zwischen 3.000 und 4.000 Mark.

Im nördlich gelegenen Frankfurt (Oder) sowie in Forst im Süden gibt es zwar mitunter aus demselben Grund ähnlich lange Wartezeiten, aber „wir hier in Guben sind ja gar nicht auf den Warenverkehr eingestellt“, sagt Gunter Lange, der Leiter der Gubener Zollabfertigung. Der Zollhof vor den Toren der Stadt sei viel zu klein. Ständig muß er wegen Überfüllung geschlossen werden, weil wesentlich mehr Fahrzeuge ankommen, als abgefertigt werden können. Die Folge ist, daß sich kilometerlange Staus bilden.

Lange ist stolz darauf, daß sein Zollamt, „obwohl wir gar nicht zuständig sind“, den absoluten Verkehrskollaps vermieden hat.

Die Autoschlangen sind auf landwirtschaftliche Nutzwege umgeleitet worden. Und da türmt sich nun der Müll. Essensreste, Flaschen, Dosen, Klopapier, Fäkalien und jede Menge Autoteile liegen am Wegesrand: Verbeulte Motorhauben, eingeschlagene Windschutzscheiben, abgefahrene Reifen.

Die Wartezeit wird genutzt. Überall schrauben drei bis vier Leute an ihren Schrottautos herum. Bislang entsorgte die Stadt Guben den Müll. „Doch seit Mittwoch haben wir kein Geld mehr“, sagt der Leiter des Ordnungsamtes, Fred Mahro. Der Jahrestetat dafür sei jetzt schon aufgebraucht. Mahro: „Wir fühlen uns vom Zoll und der Oberfinanzdirektion im Stich gelassen.“ Schließlich entstünde der Müll im Zusammenhang mit dem Grenzverkehr.

Leidtragende sind aber vor allem die Anwohner des umfunktionierten landwirtschaftlichen Nutzweges. „Seit zwei Wochen“, sagt eine ältere Frau, „habe ich maximal vier bis fünf Stunden schlafen können.“ Es sei einfach zu laut: „Das Gegröle der angetrunkenen Menschen, die Motorengeräusche.“ Morgens käme sie nicht zur Arbeit, weil die Straße in Zweierreihen zugeparkt sei. Ein Bauer macht sich Sorgen um seine Felder: „Die Autos fahren da querfeldein und machen mir meine Saat kaputt.“ Die Anwohner haben wenig Hoffnung, daß sich ihre Lage in naher Zukunft ändern wird. „Erst mit dem neuen Grenzübergang wird das besser.“ Der entsteht fünf Kilometer südlich bei Schlagsdorf. Doch frühestens in zwei Jahren soll er fertig sein.

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