: Polizeihatz auf Geburtstagsparty
■ Polizei überfällt aus Angst vor Punks in Rambo-Manier eine private Feier im Jugendhaus. Die Eltern sind empört über entwürdigende Behandlung ihrer Kinder
Aschaffenburg (taz) – Es hatte eine richtig tolle Geburtstagsparty werden sollen. Das Aschaffenburger Jugendhaus war gemietet, Einladungen verschickt und knapp 100 Gäste waren in bester Laune erschienen. Um 22.40 Uhr fand die Party ein abruptes Ende. Ein Sonderkommando der bayerischen Polizei stürmte mit Schlagstöcken den Saal, drängte die 14- bis 17jährigen Partygäste an die Wand, griff einzelne heraus und transportierte sie gefesselt ab.
„Es waren Punker in der Stadt, wir wollten verhindern, daß es zu Chaos-Tagen wie in Hannover kommt“, rechtfertigt sich Aschaffenburgs Polizeichef Gosbert Dölger. Die Eltern der Jugendlichen sind über den „Akt absurder polizeilicher Willkür“ so empört, daß sie jetzt die Unrechtmäßigkeit des „Rambo-Einsatzes“ gerichtlich festgestellt wissen wollen. „Man muß in unserem Land als Punk herumlaufen können, ohne dafür polizeilich belangt zu werden“, begründet das deren Rechtsanwalt, Wolfgang Kaub.
Tatsächlich waren an diesem Samstag Punker in der Stadt. Als Reaktion auf einen Marsch von knapp 200 Neonazis Mitte Februar durch Aschaffenburg flatterte der örtlichen Zeitung ein Flugblatt mit der Parole „Chaos-Tage von Hannover wiederholen“ ins Haus. Bei der bayerische Polizei schrillten sofort die Alarmglocken, hatten doch ihre Chefs, Innenminister Günther Beckstein und Ministerpräsident Edmund Stoiber, immer wieder hoch und heilig versprochen, daß es im Freistaat niemals Chaos-Tage geben werde.
Nicht einmal 100 Punks hatten sich am am Bahnhof eingefunden. Sie soffen Bier, pißten an einen Kiosk, Flaschen zerschellten. Die Polizei observierte aus sicherer Entfernung, griff aber nicht ein. Mittlerweile hatte sie aber die Polizeisondertruppe USK (Unterstützungskommando) aus Dachau angefordert. Nachdem die ihren Einsatz gegen eine PKK-Veranstaltung in Ingolstadt beendet hatte, traf sie abends in Aschaffenburg ein. Ihr Auftrag: Jeden festnehmen, der nach Punk aussieht und nicht aus Aschaffenburg kommt.
Mit dem Schlagstock die Beine gespreizt
„Grob, gereizt, unhöflich, rücksichtlos, gewalttätig“, beschreiben die Jugendlichen das USK. Die Partygäste mußten sich mit erhobenen Händen breitbeinig an die Wand stellen. Bei mehreren Mädchen wurde mit dem Schlagstock nachgeholfen, damit sie ihre Beine spreizen.
Bei 91 Jugendlichen wurden die Personalien festgestellt. Vierzehn entsprachen dank ihrer gefärbten Haarsträhnen den Vorstellungen eines bayerischen Polizisten von einem Punk. Sie mußten sich bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nackt ausziehen. „Routine“ nennt die Polizei das. Zudem habe man beim Blick in den Slip eines Mädchens „einen Mercedes- Stern im Schritt“ gefunden. Daß dieser „Mercedes-Stern im Schritt“ in Wirklichkeit ein Piercing-Schmuck war, ist nicht der einzige Widerspruch in der Polizeiversion. So berichtet Polizeichef Dölger von Polizeispähern, die beobachtet haben wollen, wie sich „30 bis 40“ der am Bahnhof versammelten Punks unter die Partygäste gemischt hätten. Polizeisprecher Peter Herok: „Wir sind hineingegangen, um die Spreu vom Weizen zu trennen.“
Keiner der Partygäste hatte fremde Punks bemerkt. Nur einer war schon einmal bei Chaos-Tagen in Stuttgart aufgefallen. Keinem einzigen konnte bisher nachgewiesen werden, daß er zuvor am Bahnhof Straftaten verübt hatte.
Daß im Jugendhaus eine harmlose Party lief, davon hätte sich die Polizei jederzeit überzeugen können, moniert Peter Diekmann. Seine 15jährige Tochter war auch dabei und kam „völlig geschockt“ nach Hause. Kein Beamter, so der Buchhändler, habe es für nötig gefunden, sich zunächst umzusehen, geschweige denn die Eltern des veranstaltenden Geschwisterpaars zu befragen. Im Gegenteil. Man habe abgewartet, bis diese gegen 22 Uhr das Jugendhaus verlassen hatten.
„Wenn die Unterstellung der Polizei richtig gewesen wäre und sich auf der Party wirklich 30 bis 40 gewaltbereite Personen befunden hätten, was wäre dann geschehen?“ fragt sich Diekmann entsetzt: „Da hätte es doch dann Panik, Tumult und womöglich viele Verletzte gegegeben.“ Die Gleichsetzung von „Punk“ und „gewalttätig“ habe die Polizei „einfach wahrnehmungsunfähig“ gemacht.
Das Fazit der Eltern: „Die nachträglichen Konstruktionen und Unterstellungen der Polizei zerschellen an der Logik und an den Darstellungen der Jugendlichen.“ Gerichte sollen jetzt klarstellen, daß so ein überzogener Einsatz „nicht der Normalfall“ sei.
Die Polizei wolle nun „nachträglich den Spieß herumdrehen“, sagt Rechtsanwalt Kaub. So hat Polizeichef Dölger gegen eine Beschäftigte des Stadtjugendamtes, die den Polizeieinsatz als Privatperson in einem Leserbrief an das Mainecho kritisierte, Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Zudem ermitteln die Beamten akribisch, ob das Fest nicht doch eine „öffentliche Tanzveranstaltung“ mit allen Konsequenzen aus dem Jugendschutz war. Sie prüft Rechtsverstöße der Verantwortlichen des Jugendhauses und der Eltern.
Aschaffenburgs Polizeiführung hat politische Rückendeckung. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Norbert Geis, dessen Sohn ebenfalls Gast der Party war, findet es normal, daß bei solchen Einsätzen „auch mal nicht die Richtigen getroffen werden“.
Auch der Aschaffenburger CSU-Landtagsabgeordnete Manfred Christ ist zufrieden: „Die bayerische Polizei greift halt zu.“ Bernd Siegler
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