Volksverdummung für alle

■ Premiere im Jungen Theater: Mit „Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Kroetz steigt man aus der Asche

„Leider muß ich ihnen sagen, daß wir in Ihren beiden Stücken nicht die Qualität erkennen können, die erforderlich ist, damit ein Stück zwischen zwei Suhrkamp-Deckeln erscheinen kann.“ Über diesen Brief des Verlegers Siegfried Unseld wird der Suhrkamp-Autor Franz Xaver Kroetz nicht gerade begeistert gewesen sein. Wird ihm doch im weiteren auch vorgeworfen, die neuesten Texte seien „allzu beliebig“. Dabei hatte der Autor Betroffenheit gespürt nach den nicht abreißenden Brandanschlägen gegen Ausländerwohnungen und Asylantenheimen und all das hat ihn „so wütend gemacht“, daß er „diese Szenen hingefetzt“ hat. Der Streit um „Ich bin das Volk“ war programmiert, das Feuilleton hatte seinen Skandal. Und Kroetz einen unbezahlbaren Werbeeffekt. In den letzten beiden Jahren stand sein Stück häufig auf den Spielplänen der deutschen Stadttheater. Nun hat sich das Junge Theater entschieden, mit „Ich bin das Volk“ die neue Spielzeit zu beginnen.

„Volkstümliche Szenen aus einem neuen Deutschland“ nennt Franz Xaver Kroetz seine Beobachtungen zur Lage der Nation. Das ist bewußter Etiketten- Schwindel, denn wie Kroetz-Liebhaber und -Hasser wissen, liegt sein Theater gerade so weit im Osten wie Bremen von Bayern entfernt ist. Neudeutsch ist nur der Hans im Glück aus dem Epilog, der drei Wünsche frei hat, und dem nicht anderes einfällt, als sich beim ersten, zweiten und auch dritten Mal immer größere Geldscheine zu wünschen, deren Empfang er mit „Wahnsinn!“ – dem Wort des Jahres 1989 – quittiert. Anschließend bricht die Realität ein, Politikerreden zu einem Gedenktag und zum Thema Gastarbeiter. Immer schon kamen sie uns hölzern vor, Syntax-Ungetüme ohne Anteilnahme. Hier werden sie gleich mit Punkt und Komma gesprochen, die Interpunktion zerhackt den Sinn und das Anliegen.

Peter Zadek, so schrieb „Theater heute“, entschied sich am Berliner Ensemble für Reduktion und bewußte Profanisierung. Aus Kroetz „volkstümlichen Szenen aus dem neuen Deutschland“ wurde ein Studententheater. Die Inszenierung in Köln kappte den Text um zehn Szenen und machte eine bös-komische Farce aus den bayrischen Stammtisch-Statements zu den Brandanschlägen.

Ralf Knapp versucht am Jungen Theater eine Synthese aus beidem. Auch bei ihm radikale Kürzungen im Text, die den Abend auf zwei Theaterstunden beschränken. Mit dem Bühnenbild versucht er, sich aus der schwerblütigen Thesenhaftigkeit der Kroetzschen Szenen zu befreien. Ein breiter roter Holzrahmen, leicht schräg gehängt, faßt das Bühnengeschehen ein, betont die Guckkastenbühne und rückt die Kroetzschen Figuren in die Nähe des Kasperletheaters. Dekonstruktion des Autors im Off-Theater? Im Gegenteil, Ralf Knapp versucht dessen Rettung. Immer wenn mutige Regie-Ideen ausgeleiherte Themen wie rechtslastige Richter, brutale Polizisten und judenverachtende Stammtischwitze aufgreifen, dann schwingen sich die Dialoge wirklich zu Theaterszenen aus. Je weiter gefaßt dabei die stilistische Bandbreite der Inszenierung, desto überraschender und überzeugender das entstehende Bild, wenn eine Szene sich in die nächste verwandelt. Etwa wenn Fünf Alt-Linke zum Handy greifen, um sich bei befreundeten Anwälten Rat zu holen, ob denn Stoiber als Nazi bezeichnet werden dürfe. Ein Gedicht soll in Druck gehen, und zwar ein radikales. Aber ein Strafverfahren wegen übler Nachrede scheint dann doch ein zu hoher Preis für die Möchtegern-Revoluzzer. Durch die Verfünffachung der ursprünglichen Einzelfigur des sozialkritischen Dichters werden dessen Bedenkender Lächerlichkeit preisgegeben. Plötzlich meint man einer WG beim Projektemachen am versifften Frühstückstisch beizuwohnen.

Als Kids unter Kapuzenjacken von einem Fernsehteam nach ihrem Deutschlandbild gefragt werden, sind die Antworten erwartungsgemäß belanglos: Pommes rot/weiß, das ist noch die originellste Variante aus der ratlosen Stotterei. Am überzeugendsten aber wird die kleine Szene durch die Regie-Idee, Uli Sobottas Euphonium, auf dem er eben noch bayrische Melodiefetzen spielte, in eine auf die Bühne gerichtete Fernsehkamera zu verwandeln. Solch beherzt respektlosen Zugriff wünschte man sich häufiger. Am sehnlichsten allerdings, wenn die sechs jungen AkteurInnen sich wieder bemühen, bayrisch zu sprechen. „Bloß weils amoi verhoazt worn san, hams a net oiwei recht.“ Auch wenn dieser Kroetzsche Satz von der perfiden Ignoranz des jüdischen Schicksals mehrfach wiederholt wird, die schwere Aggression einer hingehauenen sprachlichen Faust, die kriegt er nur, wenn einer den eigenen Dialekt wie selbstverständlich spricht. Für Kroetz ist das, seitdem er vor 20 Jahren aufs Land zog, das Bayerische. Im Jungen Theater aber erreicht die Mundart bestenfalls die Qualität der gequälten Pflichtübung. Aggression geht bei Kroetz hervor aus regional begrenztem Blickwinkel. Warum also werden diese Zumutungen nicht auch auf Niederdeutsch vorgetragen?

Susanne Raubold

Nächste Vorstellungen: bis 11.4., 19., 21.- 23. 4. um 20.30 Uhr.