Senat will Frühling einsparen

■ Zu Ostern waren Berliner wie Wildschweine nicht zu halten

Neue Horrormeldung aus dem Roten Rathaus: Um Energiekosten einzusparen, hat der Senat in diesem Jahr den Frühling wegrationalisiert. Ein Sprecher der Landesregierung bezifferte den kalkulierten Spareffekt auf 11,3 Millionen Mark. Um die sozialen Folgen abzumildern, sei der „zugegebenermaßen sehr abrupte Übergang vom Winter auf den Sommer“ auf die Ostertage gelegt worden.

Das Berliner Protestpotential ließ sich durch diesen populistischen Trick offenbar flächendeckend befrieden. In Kreuzberg verkleideten sich fröhlich glucksende Punks als Ostereier und versteckten sich unter Parkbänken: „Huhu, Oma, hier bin ich!“. In Mitte und Marzahn wurden gestandene proletarische Klassenkämpfer gesichtet, die sich juchzend auf die Erde warfen und die ersten zarten Grashalme zu Tode küßten. Und im Tiergarten betete eine Gruppe Frauenrechtlerinnen einen Marienkäfer an, der sich auf das Bismarck-Denkmal verirrt hatte.

Selbst in einer Straßenkneipe am Prenzlauer Berg legte sich das vom Staatsschutz als besonders gefährlich eingeschätzte Protestmilieu der Germanistikstudenten selber lahm. Anlaß des lautstark ausgefochtenen ideologischen Schlagabtauschs war der „Osterspaziergang“ in Goethes „Faust“: „Vom Eise befreit sind Ströme und Bäche...“ Der Geheimrat, der alte reaktionäre Sack, habe die Massen von damals bis heute nur einlullen wollen, vertrat die schreiende Mehrheit. Nichts sei befreit, weder die Ströme noch die Bäche und erst recht nicht die Menschheit vom Packeis der Bourgeoisie.

Tatsächlich waren die meisten Gewässer Berlins und Brandenburgs an den Ostertagen immer noch zugefroren. An ihren malerisch glitzernden Ufern testeten Myriaden von sonnenhungrigen Halbnackten, wie sich der direkte Übergang vom Winter in den Sommer anfühlt. Wer besonders mutig war, setzte die nackigen Füße aufs Packeis und schleckte ein Zitroneneis.

Die Senatspolitik der unangekündigten Frühlingskürzung hat indes bereits Todesopfer gefordert. In einem Naturschutzgebiet in Köpenick wurden 15 tote Wildschweine gefunden, die wahrscheinlich ertrunken sind. Die Polizei vermutet, der lange Winter habe sie dazu verführt, den Weg über das Eis am Gosener Graben für den normalen zu halten. Als sie einbrachen, konnten sie sich nicht mehr ans Ufer retten: Die uferbegrenzende Spuntwand war zu hoch. Die armen Schweine liegen dort immer noch und sollen erst nach Ostern durch das Landesforstamt abgeholt werden. Ute Scheub