Die Eurotaz: KorrespondentInnen organisieren transnationale Themen

Sechs Jahre Eurotaz, 200 Ausgaben, an die 1.500 Artikel: Entstanden als Experiment, ist die im Zweiwochenrhythmus erscheinende Ausgabe die dauerhafteste Einrichtung der taz. Daß nicht die Zentralredaktion, sondern jeweils ein Korrespondent im Ausland Europathemen aufnimmt, mit Hilfe von Kollegen aus anderen Ländern Beiträge organisiert, Kommentare ausländischer Fachleute einholt und zu einer Doppelseite verbindet, war in der Zeitungslandschaft ein Novum. Betrachtet man die Rückmeldungen, die Themenvorschläge von außen, die Abfragen früherer Artikel, hat sie sich bewährt.

Die taz hat dabei eine ihrer besonderen Stärken genutzt: ihr Netz von Korrespondenten vor Ort, die sich weniger an der „großen“ Politik orientieren, sondern am Erleben der Menschen, an den Perspektiven der sozialen Schichten, an ihrer Kultur und ihrer Geschichte. Neben aktuellen Themen vermochte die Eurotaz so auch „ganz andere“ Bereiche darzustellen, von Stadtrandgebieten bis zur neuen Moralität, vom Opus Dei bis zum Totenkult. Informationen über Gemeinsames und Trennendes, über Sich-Fügendes und über Knirschendes.

Entstanden war die Eurotaz 1990 zunächst aus einer Notlage. Alle waren sich klar, daß man regelmäßiger und übergreifender über die entstehende Union, die neu Hereindrängenden und auch die „Draußengebliebenen“ berichten müsse. Andererseits zeigte die Gemeinschaft bereits Risse – Ränder begannen zu bröckeln, in einzelnen Ländern wurde gar die nationale Einheit in Frage gestellt, Mitgliedsaspiranten zerfielen im Bürgerkrieg.

Doch gleichzeitig belegte die Berichterstattung über die Wiedervereinigung fast alle Seiten unserer Zeitung. Der wenige verbliebene Platz fürs Ausland war schwer umkämpft, die Konkurrenz unerträglich. Daraus entstand die Idee, den Korrespondenten reihum die Gestaltung einer europäischen Doppelseite zu ermöglichen, mit Themen, die aus der Sicht des von ihm betreuten Landes besonders wichtig sind: entweder weil sich wirklich ein Stück „Europa“ zeigte, oder weil man erkannte, was alles noch nicht lief – oder was wohl auch nie laufen würde. Bald entwickelte sich die Eurotaz zu einer auch im Ausland angesehenen Institution.

Heute, wo die Risse in der Union immer tiefer werden und allenfalls noch der ständig wiederholte Satz: „Es gibt doch keine Alternative“ Beruhigung verschafft, wird die Eurotaz – kritischer noch als bisher – immer mehr zum Medium für die Standortbestimmung Europas – und ihrer Länder. Werner Raith