Hans trifft Mustafa an der Dönerbude

Der Döner ist die kreative Antwort der türkischen Einwanderer auf die Wirtschaftskrise. Und er ist die Synthese deutscher und türkischer Kultur. Eberhard Seidel-Pielen gebührt für sein neues Buch ein Ehrenpreis, meint  ■ Tatiana Lima Curvello

Wer es geschafft hat, auf legalem Wege in einen modernen europäischen Wohlfahrtsstaat einzuwandern, hat den schmerzvollen Kampf ums Überleben noch lange nicht gewonnen. Einwanderer finden hier nicht die Chancen und die Atmosphäre vor, die ihnen den Raum, die emotionale Verfassung sowie den Anreiz geben, sich durch „Groschenarbeit“ nach oben zu arbeiten.

Aber die Wirklichkeit ist glücklicherweise vielschichtig. Eberhard Seidel-Pielen zeigt mit seiner Archäologie des Döner-Kebabs, daß selbst unter einengenden Strukturen Einwanderer innovative Wege finden, ihr Leben neu zu gestalten.

Der Autor führt uns in eine bislang unterschätzte Dimension der deutschen Gesellschaft ein, die mit ihrer Eigendynamik den Spielraum ausmacht, den sich die Türken in Deutschland über die bundesweite Expansion des Döner- Imbisses erobert haben.

Einwanderer konnten gerade dann ihr kreatives Potential entfalten, als es ihnen gelang, sich aus den einengenden Fängen des bürokratischen Sozialstaats zu befreien, auch wenn der Impuls dazu aus einer Notsituation hervorging.

Der Döner-Imbiß ist daher die kreative Antwort, mit der die türkischen Einwanderer auf die Wirtschaftkrise der siebziger Jahre reagierten. „Ohne Subventionen, staatliche Unterstützung und wirtschaftsfördernde Maßnahmen schufen sie in der Bundesrepublik der achtziger Jahre rund 10.000 Arbeitsplätze.“

Die Dönerbranche setzt mit einem Umsatz von 3,6 Millionen Mark mehr um als die „Gastro-Giganten“ mit ihrer gesamten Produktenpalette. Wir gewinnen hier nicht nur einen umfassenden Einblick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Döners, wir werden zugleich mit seiner kulturrevolutionären Dynamik vertraut gemacht.

Die besondere Situation der Einwanderer nach 1975 brachte neue Handlungsstrategien hervor. Unter den neuen Rahmenbedingungen wurde der Pioniergeist aktiviert, legale Nischen gefunden. Der günstige Augenblick wurde wahrgenommen und genutzt. Man lernte schnell zu verführen, zu werben und zu „tricksen“.

Die ausländerrechtlichen Bestimmungen wurden geschickt hintergangen. Die für das Kleingewerbe wichtigen Familienstrukturen wurden mobilisiert.

Es entstanden ganze „Döner- Dynastien“, die ihren Nachwuchs auf die Universitäten schicken, um dort Betriebswirtschaft zu studieren oder Ingenieurwissenschaften, um den Produktionsablauf des Dönerspießes zu perfektionieren. Inzwischen werden Pläne geschmiedet, um die Produktionstechniken aus Deutschland in die Türkei zu re-importieren.

Der durch die Präsenz von Einwanderern entstandene Wandel in der bundesrepublikanischen Alltagskultur ging auch vom Döner-Imbiß aus. Hier entwickelten sich die Ansätze für eine Synthese von deutscher und türkischer Kultur. Von hier aus breitete sich die „Türkisierung“ der Gesellschaft aus.

Sein eigenes Kolorit bekam dieser Prozeß natürlich immer durch die besondere Interaktion mit den Deutschen, die an ihm beteiligt sind. So trifft Seidel-Pielen in einer Reise durch die Republik auf die unterschiedlichsten regionalen Ausprägungen der Dönerkultur. Den bayerischen Gourmets zum Beispiel verdanken wir es, daß die Döner in München am besten schmecken.

Den türkischen Intellektuellen, denen der kulturrevolutionäre Durchbruch des Döners ein Dorn im Auge ist und die mit dem Slogan hausieren gehen, „türkische Kultur (sei) mehr als Döner“, hält der Autor entgegen: „Mehr als kulturelle Offensiven, Freundschaftsfeste und moralische Appelle hat der Döner die interkulturelle Begegnung gefördert. Das schmerzt, macht die eigene, bescheidene Bedeutung deutlich, stellt die Kleiderordnung in Frage. Nicht in den Volkshochschulkursen und an den Stätten der Hochkulturen, sondern an der Imbißbude kamen Hans und Mustafa ins Gespräch, reiften Pläne für die erste Türkeireise.“

Nach Ansicht des Autors waren es nicht die vielen Aufklärungskampagnen, die dem „Osten“ etwas Kosmopolitismus vermittelten, sondern „die einfachen Kebabci, die Dönerverkäufer waren die Kundschafter. Sie wagten sich, kaum daß die Mauer gefallen war, in den wilden Osten vor. Sie und nicht die staatlich subventionierten und verbeamteten Integrationsspezialisten schufften in der Gluthitze des Dönergrill.“ Die wesentlichen Träger dieses Prozesses waren junge Türken, die nach Osten zogen, „immer auf der Suche nach Standplätzen für einen neuen Döner-Imbiß“. Ihre Kompetenz für diese Aufgabe wurde in Jugendgangs erworben.

„Auch Kreuzberger Straßenkämpfererfahrungen lassen sich versilbern. Hier ... haben sie gelernt, was sie draußen in freier Wildbahn brauchen. Mut, Abenteuerlust, Kampfgeist und die schlichte Lust am Kick, am Adrenalinstoß, gehören Anfang der Neunziger zu den Grundvoraussetzungen, um sich als Dönerpioniere in den ,Wilden Westen‘ vorzuwagen.“

Die Betroffenheitsrhetorik, mit der die Auseinandersetzung über das Thema Einwanderung in Deutschland normalerweise geführt wird, hat der Autor glücklicherweise vermieden. Bei ihm ist das Thema nicht zu einem ideologischen Exerzierplatz verkommen. Es ist ihm gelungen, dem Leser seine Erfahrungen mit Scharfsinn und Witz zu vermitteln.

Eberhard Seidel-Pielen wird in der Kulturgeschichte der Einwanderung möglicherweise einen Ehrenplatz als derjenige bekommen, der den dringend nötigen Humor in die Debatte gebracht hat.

Eberhard Seidel-Pielen: „Aufgespießt. Wie der Döner über die Deutschen kam.“

Rotbuch Taschenbuch, Hamburg 1996. 183 Seiten, 10 Abbildungen, 19,80 DM

Unsere Autorin ist Soziologin und arbeitet beim Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften in Berlin