Sie wäre so gern die Ziehtochter gewesen

■ Femmage an die Gräfin. Alice Schwarzer hat der „Zeit“-Herausgeberin Marion Dönhoff eine Biographie angetragen. Herausgekommen ist ein Stück Trivialliteratur

Eine gestandene Journalistin, Mitte Fünfzig, Chefredakteurin und Herausgeberin einer kleinen, aber vielbeachteten Zeitschrift, schreibt ein Buch über die große alte Dame der deutschen Publizistik, die Herausgeberin der Wochenzeitung Die Zeit. Alice Schwarzer schreibt über Marion Gräfin Dönhoff. Eigentlich die natürlichste Sache der Welt, doch Verlag und Autorin werden nicht müde, von „einer wirklich ungewöhnlichen Konstellation“ zu reden. Alice Schwarzer versteht eben die Kunst des Verkaufens mindestens so gut wir ihr Verleger Alfred Neven DuMont. Einzig die Frau, um die es geht, kommentiert den ganzen Rummel mit der gebotenen Nüchternheit: „Mir ist das völlig Wurscht.“

Das Buch, das aus der Begegnung zwischen diesen beiden Publizistinnen entstand, ist das, was man ein „persönliches Buch“ nennt. Das heißt, die LeserInnen erfahren viel über die Biographin und wenig über das Objekt ihrer Neugier. Es liest sich leicht, zu leicht für solch ein facettenreiches Leben. Im ersten Abschnitt schildert Alice Schwarzer die Schwierigkeiten ihrer Annäherung an die Person Dönhoff. Immer wieder begegnet sie bei ihrer Recherche im Bekannten- und Verwandtenkreis „warmherzigen, sinnlichen, strahlenden“ Gräfinnen, die „die Beine übereinanderschlagen“, wobei der einen oder anderen „der Rock etwas nach oben rutscht“, und die „sich eine Zigarette anzünden“, bevor sie den entscheidenden Satz sagen: „Eigentlich kenne ich Marion gar nicht.“

Mit den „Buben der Gräfin“, alle „groß, schlaksig, blond, blauäugig“, trinkt die Autorin Kakao mit Sahne oder Tee. Alice Schwarzer schreibt flotte Trivialliteratur: „Als Gräfin Metternich mich gegen Mittag durch die langen Gänge zum Eingangsportal zurückbegleitet, scheint durch die hohen Fenster die blasse Wintersonne. Auf dem Hof, kurz bevor ich in den Wagen einsteige, gibt sie mir noch etwas mit auf den Weg: ,Bevor Sie gekommen sind‘, sagt sie, ,habe ich Marion angerufen und sie gefragt: Wie soll ich mit ihr reden? Mit Vorsicht oder wie mit einer Freundin? – Wie mit einer Freundin, hat sie gesagt.‘“

Kein Zweifel, der Bürgerin Alice hat die freundliche Aufnahme, die ihr in den Schlössern der Adligen zuteil wurde, geschmeichelt. So sehr, daß sie sich beflissen bemüht, nur ja kein kritisches Wörtchen über die Gräfin Dönhoff zu verlieren. Zaghaft merkt sie in ihrem Buch nur an, daß aus der Feder der Zeit-Herausgeberin nicht ein einziges Wort zu feministischen Themen bekannt sei. Aber auch dafür findet sie sofort ein Wort der Entschuldigung: „Warum sollte sie auch. Schließlich lebte Marion Dönhoff ein Leben lang ein Männerleben.“

Im zweiten Teil, der Biographie, tut Frau Schwarzer nach bewährter Spiegel-Manier so, als sei sie überall Mäuschen gewesen. Ausführlich schildert sie Kindheit und Jugend der preußischen Adligen auf Schloß Friedrichstein, ihre Studienzeit und schließlich ihre Jahre als Gutsverwalterin während des Zweiten Weltkrieges. Marion Dönhoffs „wahre Rolle“ im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, über die sie laut Klappentext in diesem Buch zum ersten Mal spricht und bei der sie laut Schwarzer zum „harten Kern“ gehörte, entpuppt sich als die einer immerhin mutigen, aber wohl nicht sehr entscheidenden Mitwisserin und Botin. Eine Rolle, die viele Frauen im und um den Kreisauer Kreis damals einnahmen. Nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 wird Dönhoff von der Gestapo verhört, doch nach vier Stunden wieder entlassen – vermutlich, weil ihr der Gestapo-Chef gewogen war, wie sie selbst durchblicken läßt. Kommentiert wird dies mit Schwarzerschem Pathos: „Marion Dönhoff ist entkommen. Vielleicht auch, weil ihr als Frau das Pathos des männlichen Helden- und Bekennertums fremd ist und sie entschlossen um ihr Leben lügt.“

Nicht weniger als die „historische Wahrheit“ reklamiert die Journalistin Alice Schwarzer für ihr Buch, doch sie selbst nimmt es damit nicht so genau. In ihrer Schilderung, wie die Gräfin und Richard von Weizsäcker zu den Nürnberger Prozessen fahren, verschweigt sie, daß von Weizsäcker dort als Hilfsverteidiger seinem Vater beistand, der mit auf der Anklagebank saß. Bei Schwarzer ist der spätere Bundespräsident nur ein Mann, der irgendwie dem Widerständler Graf von Stauffenberg „nahestand“. Die Inflation von 1923, die Zeit als „zu guter Letzt ein Dollar vier Billionen Reichsmark [wert war]“, hat die Autorin mal eben um zehn Jahre verlegt, ins Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung. Kein gnädiger Lektor hat sich erbarmt, solch peinliche Fehler zu korrigieren.

Die Jahre nach dem Krieg, Gräfin Dönhoffs Rolle als Publizistin und Mitgestalterin deutscher Außenpolitik, werden im Schnelldurchlauf von 30 Seiten nur noch gestreift. Kein Platz, keine Zeit für Irrtümer und Fehleinschätzungen, kein Wort zu ihren Kommentaren zum Aufstand in Palästina 1947 („jüdischer und arabischer Mob“) oder zur berühmten Zeit-Reise in die DDR 1986. Gewiß, Alice Schwarzer wollte kein Geschichtsbuch schreiben, doch diese Biographie liest sich wie ein Kolportageroman. Nicht das Private ist politisch, sondern das Politische wird jeder historischen Dimension entkleidet und privatisiert.

Seinen Reiz bezieht das Buch einzig aus der Spannung zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten. Hier die Selfmade-Frau und Kämpferin mit ihrer Lust an der Selbstinszenierung und am Skandal, da die nüchterne preußische Adlige mit ihrer Zurückhaltung und dem Selbstwertgefühl derjenigen, die in dem Bewußtsein aufwuchs, jemand zu sein. Alice Schwarzer, von der gesagt wird, daß sie Distanz schwer erträgt, muß die sprichwörtliche Diskretion der Gräfin Dönhoff zur Verzweiflung getrieben haben.

So bleibt das Gefühl, die kleine aufmüpfige Alice wäre so gern die Ziehtochter der großen Publizistin geworden, das „Mädel“ der Gräfin unter den vielen „Buben“. Nun hat sie „Marion“ ihre Liebe nachgetragen in einem Buch, das begierig alles Menschelnde aufgreift und ausbreitet. Einschließlich der Vorliebe für schnelle Autos, die Autorin und Porträtierte teilen.

Alice Schwarzer hat die Verehrte auf einen Sockel gehoben und sich bemüht, auch nicht den Schatten einer Differenzierung auf die Heldenstatue fallen zu lassen. Entgegen allen journalistischen Prinzipien hat sie auch nur im „engsten Freundes- und Verwandtenkreis“ der Publizistin recherchiert und nicht etwa bei deren Kritikern. Die Persönlichkeit von Marion Gräfin Dönhoff und ihr Lebenswerk verschwinden so hinter einem Schwall von nichts als Nettig- und Artigkeiten, bei denen sie sich aber manchmal im Bild vergreift. Die Gräfin „feixt“ nicht, auch wenn sie „Marion“ heißt. Diemut Roether

Alice Schwarzer: „Marion Dönhoff – Ein widerständiges Leben“. Kiepenheuer und Witsch, März 1996, 350 Seiten, 39,80 DM