US-Polizei belagert rechtsradikale Miliz

In einer Farm im US-Bundesstaat Montana haben sich mindestens zehn „Freemen“ verschanzt. Sie lehnen den Staat als illegitim ab. Das FBI will ein Blutbad wie in Waco verhindern  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Noch knapp eine Woche bis zum Jahrestag der Katastrophe von Waco und dem Bombenanschlag in Oklahoma City, und die amerikanische Polizei muß sich wieder mit einer rechtsradikalen Bürgermiliz auseinandersetzen. Seit zwei Wochen belagern rund 100 FBI-Agenten mehrere Farmgebäude am Rande von Jordan, einem 450-Seelen-Dorf im US-Bundesstaat Montana. Hier haben sich mindestens zehn sogenannte „Freemen“ mit ihren Familien und einem Waffenarsenal verschanzt – Angehörige einer rechtsradikalen Milizenbewegung, die jede Form staatlicher Autorität als illegitim ablehnen und sich an keinerlei Gesetze gebunden fühlen.

Um eine zweites Waco zu verhindern, setzt das FBI auf Verhandlungen. In Waco ging das Anwesen der „Davidianer"–Sekte bei einem Sturmangriff des FBI in Flammen auf und 85 Menschen starben. In der Folge gab es in der Öffentlichkeit und im US-Kongreß scharfe Kritik am FBI und Justizministerin Janet Reno, die den Sturm auf Drängen der Einsatzleitung vor Ort abgesegnet hatte. Diesmal setzt man in Washington auf eine weit defensivere Taktik: Die FBI-Agenten sind kaum sichtbar, Abgeordnete des Stadtparlamentes von Jordan führten bereits zwei Gespräche und Verwandte versuchen die Belagerten zur Aufgabe zu bewegen. Und die Taktik scheint erfolgreich zu sein. Am Sonntag ergab sich eine Frau gemeinsam mit ihrer Tochter den Bundespolizisten.

Morddrohung gegen den örtlichen Richter

Die „Freemen“ betrachten ihr Farmgelände in Montana, das sie vor gut einem Jahr in „Justus Township“ umgetauft haben, als „souveränes Territorium“ mit eigener Rechtssprechung, eigenem „Informationsministerium“ und eigener Finanzhoheit.

Der Konflikt in Jordan begann am Montag vorletzter Woche, als die abgelehnte staatliche Autorität in Gestalt mehrerer FBI-Beamter zwei Führer der Gruppe, den 57jährigen Leroy Schweitzer und den 53jährigen Daniel Petersen, festnahm. Haftbefehle gegen acht weitere „Freemen“, die sich verschanzen, sind seit längerem ausgestellt. Sie listen eine ganze Reihe von Straftaten auf – angefangen von Morddrohungen gegen den örtlichen Richter, die Ausschreibung eines Kopfgeldes gegen den Sheriff von Jordan bis zu mehrfachem Diebstahl und Betrug.

Nach Angaben der Behörden haben die „Freemen“ in Jordan im letzten Jahr in Ausübung ihrer „Finanzhoheit“ über 1,8 Millionen US-Dollar zusammengestohlen – mit einer ausgeklügelten Kombination aus Kreditkartenbetrug und gefälschten Schecks. Eine andere populäre Methode bestand darin, Eigentum anderer – bevorzugt waren Angestellte im Staatsdienst – mit Pfändungsanträgen zu belegen und dieses Eigentum dann als finanzielle Sicherheit bei der Einlösung von Schecks anzugeben. Ihre Tricks und Fähigkeiten gaben die „Freemen“ um Schweitzer und Petersen in Seminaren an gleichgesinnte Interessenten weiter. Von Unrechtsbewußtsein blieben sie ungetrübt: Das Kopfgeld und die Androhung der „Todesstrafe“ gegen den Richter sind nach ihrer Logik legitime Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit; von staatlichen Gesetzen zum Schutz von Eigentum fühlen sie sich entbunden, weil der Staat an sich ja ein illegitimes Gebilde sei.

Seit 1993 führt das US-Justizministerium die „Freemen“ zusammen mit der neonazistischen „Aryan Nation“, der anti-staatlichen „Michigan Militia“, sowie einem Zusammenschluß von Skinheads in Südkalifornien an der Spitze eine Liste der „potentiell gefährlichsten Gruppen“ in den USA. Was die „Freemen“ von vielen anderen Milizen unterscheidet, ist ihre extreme Gewaltbereitschaft, sowie ihre rassistische und antisemitische Rhetorik – verwoben mit den typischen Verschwörungstheorien gegen die US-Regierung, die UNO und internationale Banken.

Der Führer droht bei Angriff mit einem Blutbad

Vor Gericht drohte Schweitzer bereits an, daß jedes polizeiliche Vorgehen gegen seine Mitstreiter ein Desaster „schlimmer als Waco“ zur Folge haben würde. Die Katastrophe hatte 1993 ihren Lauf genommen, als die Polizei bei dem Versuch, Sektenführer David Koresh wegen Verstosses gegen Waffengesetze festzunehmen, in eine Schießerei mit Toten auf beiden Seiten verwickelt wurde. Waco ist seitdem zu einem Wallfahrtsort für Anhänger der amerikanischen Milizenbewegung geworden.

Die größte Sorge des FBI galt bislang dem massiven Aufgebot an Journalisten, die in und um Jordan in Erwartung eines Showdowns Quartier bezogen und den Extremisten landesweite Aufmerksamkeit gebracht haben. Doch ein Aufruf an Milizen aus anderen Bundesstaaten, zwecks Solidaritätsbekundung nach Montana zu reisen, verhallte am Montag fast ungehört. Zwölf Sympathisanten standen bei eisigen Temperaturen einer vielfachen Übermacht an Journalisten und Polizisten gegenüber.

Am meisten hoffen die Bürger von Jordan darauf, daß der Spuk vor den Stadttoren ein baldiges – und friedliches Ende nimmt. Zwar steigert die Presse-Präsenz die Umsätze in der lokalen „Hell Creek Bar“ sowie in den umliegenden Motels, doch die Publicity wäre man – zusammen mit den „Freemen“ – gerne wieder los. „Die hocken da rum und denken sich alles mögliche aus, um Scherereien zu machen“, erklärte ein Rancher aus Jordan. „Wir haben alle die Nase voll von ihnen.“