Grenzverletzer als Wahlkampfhelfer

Nordkoreas Provokationen nützen Südkoreas Regierenden vor den anstehenden Parlamentswahlen  ■ Von Georg Blume

Tokio (taz) – Während sich die Regierenden in Seoul und Pjöngjang in kriegerischer Rhetorik übten, wußten TouristInnen aus aller Welt die Lage besser einzuschätzen. Als wollten sie allen Berichten von nordkoreanischen Waffenstillstandsverletzungen und südkoreanischen Bereitschaftsmanövern bewußt trotzen, stand gestern die übliche Besucherschlange vor dem Grenzposten in dem Dörfchen Panmunjom an der innerkoreanischen Grenze. Wie einst am Berliner Checkpoint Charlie gehört ein Besuch an der Frontlinie zum Reich des Bösen heute zur Attraktion jeder Südkoreareise.

Die Zahl der nordkoreanischen Waffenstillstandsbrecher in Panmunjom war in den letzten Tagen beharrlich gestiegen – zuletzt auf knapp 200 Soldaten. Obwohl die Störenfriede ihre provokative Positur jeweils nach einigen Stunden wieder abbrachen, lösten sie einen internationalen Proteststurm und viel Gerede von einem neuen, unmittelbar drohenden Krieg auf der Halbinsel aus. In Wirklichkeit hatte sich freilich an der am stärksten bewachten Grenze der Welt recht wenig bewegt. Demonstrativ verzichteten die USA, Südkoreas einzige Schutzmacht, auf eine militärische Reaktion. Da sich derweil auch an der nordkoreanischen Truppenstationierung nichts änderte, lag es nahe, die aufgeregten Reaktionen der Regierung in Seoul als Wahlkampfmanöver zu interpretieren.

Die südkoreanische Tageszeitung Munhwa Ilbo brachte die politischen Auswirkungen der nordkoreanischen Provokation mit einer Karikatur auf den Punkt. Während dort Nordkoreas Kim auf dem Fernsehbildschirm den Waffenstillstandsvertrag zerriß, rieben sich Parlamentarier der südkoreanischen Regierungspartei die Hände: „Habt euch unter Kontrolle! Laßt uns nicht vor Freude in die Luft springen“, ließ der Karikaturist einen Abgeordneten sagen.

Es wäre nicht das erste Mal, daß Spannungen mit dem Norden der Regierungspartei im Süden bei Wahlen helfen würden. Allerdings schien bei den südkoreanischen Parlamentswahlen am kommenden Donnerstag der Ausgang bereits perfekt. Alle Seiten rechneten damit, daß die Neue Koreanische Partei (NKP) von Präsident Kim Young Sam erstmals in der jungen demokratischen Geschichte des Landes ihre Mehrheit verlieren würde. Vor allem die Aufdeckung bislang undenkbarer Korruptionsaffären, die in den vergangenen Monaten die zwei Amtsvorgänger Kims und einen seiner engsten Berater ins Gefängnis brachten, hatten die Popularität der Regierungspartei sinken lassen. Am Wochenende versuchte NKP-Führer Park Chang Jong den Spieß umzudrehen: „In dieser nationalen Krise trägt die Opposition zur Verschlechterung der Lage bei, wenn sie einen Untersuchungsausschuß zur Wahlkampffinanzierung des Präsidenten fordert“, sagte Park.

Geht die neue Strategie der Regierungspartei auf, könnte das durchaus im Interesse Pjöngjangs gelegen haben. Denn eine Niederlage der NKP würde voraussichtlich einer weiteren Demokratisierung Südkoreas Vorschub leisten – eine Perspektive, welche die Diktatoren im Norden nicht unbeteiligt lassen konnte.