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Mit „Kuhle Wampe“ gegen Landminen

Ostermarsch auf zwei Rädern. 700 Motorradfahrer brausten zum Sprengstoffproduzenten Dynamit Nobel AG in die Eifel. Ihre PS-starke Forderung: Minen zu Klodeckeln  ■ Aus Köln Bernd Neubacher

Letztes Jahr in Frankfurt kamen bloß 70 Menschen zur bundesweiten Abschlußkundgebung aller Ostermärsche. Diesmal kamen alleine zum Autobahnverteiler Köln-Süd gut 700 Friedensfreunde. Fürs erste wären sie zufrieden mit dem Verbot von Landminen. Allmonatlich töten die verbuddelten Waffen etwa 800 Menschen – Tausende werden zu Krüppeln. Statt Sprechchören heulen die Motoren. Die Motorradfahrer aus Essen, Münster, Siegen, Bielefeld und anderwo stellen beim Protestkorso des Kölner Motorradclubs „Kuhle Wampe“ die größte Osterkundgebung der Region auf die Beine.

Die Demonstranten an der Tankstelle des Verteilerkreises entsprechen weder dem Klischee von der Friedensbewegung noch dem eines Motorradclubs. Zum Beispiel Klaus-Dieter, seit drei Jahren Witwer. Nach dem Tod seiner Frau kaufte er sich wieder eine Maschine. Jetzt, mit 65 Jahren, fängt das Leben für ihn noch mal an: „Bei der ,Kuhlen Wampe‘ gab mir noch nie jemand zu verstehen, daß ich ein alter Sack bin.“

Oder „Mammi“ aus Leipzig: „Der Klub gefällt mir“, meint der Mittzwanziger, „weil er über den Tellerrand hinausguckt und sich auch politisch engagiert.“ 1994 hieß ihre Osterfahrt „Mit 50.000 PS gegen Rechts“.

„Mein Mann und ich fahren schon seit 15 Jahren mit“, berichtet eine ältere Dame mit blonderter Dauerwelle und pink geschminkten Lippen, „damals fuhren wir immer auf die Hardthöhe zum Verteidigungsministerium.“ Heute geht es nach Troisdorf zum Sprengstoffproduzenten Dynamit- Nobel, da ist beim Zweiradkorso auch die Johanniter-Unfall-Hilfe mit einem Dutzend Maschinen dabei. „Fahr vorsichtig, und denk an die Idioten“, verabschiedet eine Frau ihre Tochter – die restlichen Worte gehen unter im Getöse von 650 startenden und hupenden Maschienen, die sich langsam über den Kölner Ring Richtung Troisdorf schlängeln.

Im Verwaltungsgebäude der Dynamit Nobel AG, drücken sich zwei Mitarbeiter die Nasen an der Glasfront platt und beobachten, wie Menschen in Lederkutten auf der anderen Straßenseite bereits Transparente mit dem Spruch „Minen zu Klodeckeln“ entrollen und Minenattrappen auf dem Parkplatz vor dem Rathaus verteilen. Mitarbeiter des Werkschutzes kurven mit dem Auto über das weiträumige Gelände und stellen jeden zur Rede, der sich dem Gebäudekomplex nähert. Nein, wehren sie Fragen ab, Vertreter des größten deutschen Sprengstoff- und Munitionsproduzenten mit Umsatz in Milliardenhöhe seien nicht zu sprechen. So kann auch niemand kommentieren, daß Dynamit Nobel nach Recherchen von medico international die Hälfte seiner Patente der Wehr- und Industrietechnik nach wie vor für Landminen anmeldet, während sich die Vereinten Nationen händeringend um deren Ächtung bemühen.

Einen Steinwurf entfernt vom Dynamit-Gebäude – die Firma warb noch 1992 mit dem Slogan „Bei Minen die erste Adresse“ –, begrüßt eine Figur aus Holz- und Lederprothesen den Motorradkorso. Eine spanische Künstlergruppe hat den Prothesenmenschen entworfen, der wie in Zeitlupe Arme und Beine bewegt. Als dann Hans Walter Fischer von der Deutschen Friedensgesellschaft seine Erlebnisse mit Minen im Zweiten Weltkrieg schildert, und als schließlich Andreas von Block- Schlesier aus dem Bundesvorstand der Johanniter-Unfall-Hilfe fordert, Dynamit Nobel solle lieber Minensuchgeräte statt Minen herstellen, da hat der langsame und stetige Aufbruch der Demonstranten schon begonnen. Bei Temperaturen von 15 Grad Celsius wollen sie endlich durch die schönen Kurven in der Eifel brettern.

„Seid gute Bürger!“ ruft ihnen einer der Organisatoren noch über Mikrofon hinterher. „Macht's Maul auf und sagt, was euch nicht gefällt!“ Und im August geht es nach Brüssel – „gegen die motorradfeindliche europäische Gesetzgebung“.

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