Mehr als nur Hupfdohlen?

Die 22 besten deutschen Cheerleader-Squads kürten ihre deutschen Meisterinnen und kämpfen weiterhin gegen Vorurteile aus der Sportszene  ■ Aus Berlin Nina Klöckner

Etwas Unglaubliches mußte passiert sein. Diana, Michaela und Melanie konnten sich jedenfalls kaum beruhigen. Gerade noch waren sie wohlsortiert durch die Turnhalle gestapft, hatten artig geklatscht oder mit ihren Pompons gewedelt, sich ab und zu ansatzlos in den Spagat gleiten oder von ihren Freundinnen in die Lüfte heben lassen. Doch plötzlich liefen sie wie wild durcheinander, die eine reckte immer wieder ihren Arm kerzengerade in die Höhe und ließ ihren Zeigefinger gen Himmel weisen, während die anderen beiden ihre Beine derart energisch hochrissen, daß man meinte, sie wollten sie am liebsten ins Publikum schleudern.

Begleitet wurde das Ganze von heiterem Gegluckse und breitestem Grinsen, ab und an formten sich die Lippen zu einem euphorischen „Yeah!“. Doch für unbedarfte Beobachter war der Grund der abrupten Extase trotz großer Bemühungen nicht zu entdecken.

Diana, Michaela und Melanie sind Cheerleader, genauer gesagt, Spandauer Cheeky Welps. Normalerweise tummeln sich die 16 „frechen Welpen“ am Spielfeldrand der Spandau Bulldogs und versuchen, ihre drittklassige Football- Mannschaft „nach vorne zu peitschen“ oder das Publikum aus den Sesseln zu hebeln.

Doch einmal im Jahr treffen sie sich mit „Frauen aus dem Ozean“, „tanzenden Spinnen“, einer „salzigen Herzogin“ aus Salzgitter, „Honigbienen“ und „Feuermädchen“ und Engel in allen Farben zur Deutschen Cheerleader-Meisterschaft, um die besten Anfeuerungskünstlerinnen zu küren. Und die finalen Ausraster gehören dabei genauso zur Kür wie Tanz, Akrobatik und die frenetischen englischen Anfeuerungsrufe für das imaginäre Football-Team. Die Auftritte beim Spiel sind für Diana auch in Ordnung, doch „so eine Meisterschaft ist viel aufregender“. Da stehe man wenigstens auch mal im Mittelpunkt. Vor etwa 15 Jahren wagte sich im hohen Norden Deutschlands eine kleine Gruppe Frauen, nach amerikanischem Vorbild wochenends in ihre paillettenbestickten Kleidchen zu schlüpfen, um der heimischen Football-Mannschaft im Kampf um Touchdowns den Rücken zu stärken. Inzwischen gibt es bundesweit gut 200 Squads, so der offizielle Name für die Cheerleader- Gruppen, mit mehreren tausend Aktiven, der Football-Verband beschäftigt eine eigene Cheerleader-Beauftragte, und seit diesem Jahr haben sie nun auch ihr eigenes Magazin Spirit.

Das organisierte Anfeuern scheint zu boomen, zur Deutschen Meisterschaft in Berlin strömten immerhin 2.500 Zuschauer in die Sömmering-Halle, wo sonst die Basketballer von Alba Berlin auch nur unwesentlich mehr Zuschauer locken. Dabei ist der Ruf der Cheerleader hierzulande nicht gerade der beste. Als schmückendes Beiwerk für die starken gepolsterten Jungs sind sie verschrien, als zellulitisfreie Hupfdohlen, und nicht selten verlangt das meist männliche Publikum bei Football- Spielen: „Ausziehen, ausziehen“, wenn die Cheerleader darum bemüht sind, die drögen Pausen der Spiele zu überbrücken. Ein Zustand der bei Birgit Ullrich, seit acht Jahren Trainerin der Spandauer Cheeky Welps, die Adern am Hals anschwellen läßt. Es sei an der Zeit Cheerleading endlich als eigene Sportart zu akzeptieren. Schließlich trainieren die Anfeurer meist mehr als die Footballer. Beim Spiel bieten sie zwei bis vier Stunden Action, und überhaupt ist für Birgit Ullrich „alles zirkusreif, was die Leute hier zeigen“. Das mag richtig sein. Da flogen Personen durch die Luft, schlugen Salti und wurden knapp vor dem Boden von heraneilenden Helfern wieder aufgefangen. Und keiner der Zuschauer hatte wohl eine Ahnung davon, in wie vielen Variationen man Menschen übereinandertürmen kann. Doch wenn man sie so sieht, in ihren knappen Kostümchen, der übertriebenen Schminke, beide Hände in Lametta-Puscheln versteckt, dann liegt der Gedanke an Sport schon etwas ferner. Und nicht selten, gibt Birgit Ullrich zu, cheerleaden die Frauen ihrem footballspielenden Freund zuliebe: „Probier das doch mal aus, Mausi, dann bist du immer beim Spiel dabei.“

Die Jury kürte die Cheeky Welps zu den besten Cheerleadern im Lande. So berühmt wie ihre amerikanischen Vorbilder werden sie deshalb wohl kaum werden. Für die eine oder andere ist das allerdings von Vorteil, denn so darf bei Birgit Ullrich jede mitmachen, „egal ob groß, klein, dick, dünn“. Und mit den Footballern dürfen ihre Cheerleader so oft ausgehen, wie sie wollen, und das, weiß Diana, „ist in Amerika strengstens verboten“.