Zum Lob der kurzen Hose

Und des Rindviechs: Der leichtfüßige australische Lyriker Les Murray feiert die Schöpfung und läßt sich gerne mit einer Kuh vergleichen  ■ Von Peter Michalzik

Seit Les Murray letztes Jahr in Avignon den Petrarca- Preis bekommen hat (gestiftet von Hubert Burda, der sich in seiner sonstigen Medienarbeit nicht immer durch Feinsinnigkeit auszeichnet), ist der Australier auch in Deutschland ein wenig bekannt geworden. Da ist ein Dichter, bäuerlich, sehr australisch, sehr gebildet, der Modernität ab- und der Traumwelt zugeneigt, dieser Ruf eilte ihm voraus.

Aber als Person ist Murray unspektakulär. Im „Oxford Companion to Twentieth-Century Poetry“ ist sein Leben zusammengefaßt: Murray, Leslie Allen, wurde 1938 im Dorf Nabiac an der abgelegenen Nordküste von New South Wales geboren. Er wuchs als einziges Kind auf der väterlichen Milchfarm in der Nähe von Bunyah auf, bevor er an der Universität von Sydney moderne Sprachen studierte. 1963–1967 arbeitete er als Übersetzer an der australischen Nationaluniversität, seit 1971 lebt er von seiner schriftstellerischen Arbeit. 1986 verließ er Sydney, eine Stadt, deren Ausrichtung an den Wechselfällen der Mode und „importiertem Schwachsinn“ lange Ziel seiner Satiren war, und kehrte nach Bunyah zurück, wo er sich eine 40-Hektar-Farm kaufte. Mehr gibt es nicht zu berichten.

Als Lyriker hingegen ist Murray aufregend. In seinem dritten Gedichtband „Poems against Economics“ von 1972 findet sich das Gedicht „Die Namen der Demütigen“. Es beginnt: Nach dem Frühstück klettere ich / Zaun um Zaun in meine Gedanken hinein / und sehe, wie Herden sich zu natürlichen Maßen verlangsamen. // Stundenlang die Nase am Boden, Gras aufnehmend, atmen sie Gras,/ Klee, Teilchen, aus der unscharfen, von feuchten Nasen / getränkten Erde. Sie haben schon weite Ebenen zu Staub geatmet. Richtig, es geht um Rinder, aber was für welche? Daß für Murray die Kuh nicht nur Lebensspender, sondern Träger der Kultur ist, merkt man schnell. Aber das ist nicht alles. Murray bewundert das Rind, und er bewundert die Demut, die man gern als Trotteligkeit mißversteht: Ein Jerseyrind sieht mich mit Sherryaugen an. Murray nimmt sich die schwerfällige, aber auch ziemlich lässige Lebensweise der Kühe zum Vorbild: Wenn ich sie um eines beneide,/ dann um ihren leichten Umgang mit dieser Epoche./ Ein Schwanzschlag links-rechts, rechts- links auf ihren Rumpf. Da ist eine Verwandtschaft, die mehr als Seelenverwandtschaft ist. In keinem Gedicht wird das deutlicher als „Die Kühe am Schlachttag“. Alle ich (all me), heißen die Rinder da immer wieder. „Die Menschenkuh riecht, als brauche sie den Stiermenschen“. Les Murray, das ist eines der Geheimnisse seiner Lyrik, macht sich in seinen Gedichten zur Kuh.

Nun ist es kein besonderes Kompliment, einen Mann mit einer Kuh zu vergleichen. Aber bei Murray sind wir uns fast sicher, daß er nichts dagegen hat. Dafür sprechen mehrere Indizien: Daß er das Wiederkäuen als positive Qualität versteht, zeigt die Belesenheit, die für ihn keine Last bedeutet. Sein Ton ist so breit und lässig, daß manche ihn für träge halten mögen. Er selbst beschreibt in einem Gedicht Sprawl als die wahre Lebenskunst: Sprawl ist, deine Landwirtschaft mit dem Flugzeug zu betreiben, flüchtig,/ oder einen Tramper die extra hundert Meilen nach Hause zu fahren. Er rehabilitiert auch die kurze Hose, ein zwar nicht viehisches, aber doch wegen seiner Plumpheit wenig renommiertes Kleidungsstück: Wenn die vier Himmelsrichtungen der Kleidung / Gala, Montur, Kluft und Klamotten sind,/ wo stehen dann die Shorts auf diesem Kompaß? ... Surfershorts zu tragen oder ähnliches; es ist eine Art Schwerelosigkeit. Wenn Murray eine Kuh ist, dann eine, die tanzen kann. Den Fotografien nach scheint er sich einer stattlichen Leibesfülle zu erfreuen, er soll aber über einen leichten, tänzelnden Gang verfügen. Man könnte eine ähnliche Geschichte auch mit anderen Tieren oder Bäumen erzählen. Murrays sanfter und bestimmter Umgang mit der Geschichte, auch der deutschen, müßte eigens dargestellt werden.

In seinem letzten Gedichtband „Translations from the natural world“ läßt Murray Tiere reden, Kuhreiher sprechen da Sonett. Wie Seamus Heaney hat Murray mit einer verständlichen, im ländlichen und familiären angesiedelten Sprache begonnen, hat an der Natur seine Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit geschärft, um sich dann auf die Geistesgeschichte und die moderne Welt einzulassen, um auf sicherem Boden komplexer zu werden. Wer Mitleiden, Demut und gar den Vergleich von Lyrik und Religion lächerlich findet, wird mit Les Murray Probleme haben.

Für die anderen erschließt sich ein Kontinent: Michael Krüger hat bei seiner Preisrede in Avignon gesagt, daß man bei Murray die hitzegebackene Weite Australiens zu spüren bekommt, und man darf hinzufügen, daß hier auch für den, der noch nie in Australien war, der leichtfüßige Trott des Viehs zu hören ist. Es ist merkwürdig: wer Bruce Chatwins „Songlines“ gelesen hat und mit ihm in Alice Springs ausgestiegen ist, wird nach der Lektüre von Les Murrays Gedichten das Gefühl haben, etwas tief Vertrautes in diesem vollkommen fremden Land entdeckt zu haben.

Noch ein Wort zur Edition: Leider tut man bei Hanser – wo einige der bedeutendsten englischsprachigen Dichter unserer Zeit verlegt werden – Charles Simic, Seamus Heaney, Derek Walcott, Joseph Brodsky und eben Les Murray – noch immer so, als sei dieses Idiom in Deutschland so verbreitet wie etwa Japanisch. Grundsätzlich sollte man sich dort mal fragen, ob in Zeiten, in denen Englisch die erste wirkliche Globalsprache zu werden sich anschickt und in denen man davon ausgehen muß, daß Lyrikleser ein verstärktes Sprachinteresse haben, zumindest bei englischsprachigen Gedichten überhaupt noch einsprachige Ausgaben verlegt werden sollen.

Les Murray: „Ein ganz gewöhnlicher Regenbogen“. Gedichte. Aus dem Englischen von Margitt Lehbert. Carl Hanser Verlag, 160 Seiten, geb. 34 DM