Wie die Damen blaublütig wurden

Vom Hamburger bis zur Monatsbinde – „Always Ultra“: Ein Jahrhundert Reklame in einer Ausstellung des Münchener Stadtmuseums. Auf der Suche nach dem Charme der Jahrhundertwende fehlen aber Pep und Pop  ■ Von Brigitte Werneburg

Als Trash betrachtet, könnte man dieser Perle in der Serie „Höhepunkte des deutschen Werbeschaffens“ durchaus etwas abgewinnen: Daß die Frau eine Art leckgeschlagener Topf ist, der ständig rinnt, weswegen man dieser nicht ganz ausgereiften Menschensorte am besten ihre tägliche Windel verpaßt – „Always Ultra“. Vor allem, da mit der Windel eine ebenso unübersehbar wie evolutionär begrüßenswerte Verbesserung des Produkts Frau einhergeht – jetzt sabbern und bluten wir blau.

Konsum adelt eben. Diese Weisheit haben nicht die Werber erfunden. Sie ist tatsächlich so alt wie die Aristokratie, die, umgeben von Armut, dem Luxus frönte. Das Bürgertum schuf schließlich die ökonomischen Bedingungen, den Luxus zu demokratisieren. Damit waren die Werbefachleute am Zug, die nun behaupteten, daß im demokratischen Einerlei der Konsum bestimmter Güter ihre Verbraucher gegenüber den anderen distinguiert. Markenprodukte, das Beste des Besten, die Quintessentials, sie verleihen dem Käufer den Status, nach dem ihm verlangt. Und, erstaunlich genug, der genannte Hygieneartikel hat es, trotz nervtötender Werbung, in kürzester Zeit zum Status eines Markenartikels gebracht. Das wollte in den letzten Jahren etwas heißen. Immerhin leben wir schon rund hundert Jahre mit der Konsumgüterwerbung, was die Sache nicht leichter, dafür aber auch schon museumswürdig macht: Als „Die Kunst zu Werben“ bilanziert das Münchner Stadtmuseum jetzt „Das Jahrhundert der Reklame“.

In Anbetracht des Sponsors McDonald's Deutschland liegt es natürlich nahe zu sagen, die großangelegte Retrospektive über Entwicklung und Wesen der Werbung sollte der „Big Mäc“ sein, der beweist, daß sie nicht allein aus always-ultra-doofen Werbeclips besteht. Offenbar hat aber McDonald's kaum mehr dazu beigetragen als das Dress-for-success-Kostümchen seiner Corporate identity im eigenen Ausstellungsraum, und auch die Ausstellungsorganisatoren investierten nichts, was über den nächstliegenden Gedanken hinaus reichte.

Der frühe Markenartikel, das Jugendstilplakat, die Anfänge des Verpackungsdesigns und die objekthaften Werbeträger werden in dunkelblauen, dunkelgrünen, dunkelroten und schwarzen Räumen präsentiert. Sie wollen die Atmosphäre der Jahrhundertwende evozieren und haben doch nur den Charme einer muffigen Puppenstube. So wird die sachliche Modernität der Entwürfe, mit denen Künstler, Architekten und Gebrauchsgrafiker wie Henry van de Velde und Peter Behrens, Alfred Runge, Eduard Scotland, Joseph Maria Olbrich oder Hermann Muthesius, Lucian Bernhard und Ludwig Hohlwein den Markenartikel und die erste Corporate identity mitentwickelten, umstandslos ruiniert. Und aktuelle, sogenannte umstrittene Werbekampagnen, wie Benetton, Otto Kern oder West, werden in einem ähnlichen geistlosen Kurzschluß hinter dicke Säulen gesperrt. Zwischen ihnen entlarvt sich dann der neugierige Betrachter notgedrungen als der Voyeur.

Immerhin wird über die Geschichte des Werbefilms per zweitneuester Technik informiert, der interaktiven CD-ROM. Sie hält die tröstliche Erkenntnis bereit, daß selbst in diesem Medium avancierte Ideen und Formgebung dem Werbeanliegen nicht per se widersprechen. Im Gegenteil. Nach der Pionierzeit, in der die Brüder Lumiére 1897 „Publicité pour la Firme Cointreau“ (so ein Filmtitel) und Touristikwerbung für die „Compagnie des Wagons-Lits“ machten, während Julius Pinschewer in Deutschland 1911 „Die Suppe“ für Maggi produzierte, für die er 1912 auch „Die Flasche“ zum Tanzen brachte, arbeiteten ab 1918 Stars der Weimarer Avantgarde wie Hans Richter, Lotte Reiniger, Walter Ruttmann oder Oskar Fischinger für den Werbefilm.

Das Modell ist noch immer gültig. Heute drehen die ambitionierten Absolventen der ursprünglich von Disney initiierten Kunsthochschule CalArts Videoclips für Madonna und andere Popstars, in denen sie das ganze Warenlager von postmoderner Appropriation und Dekonstruktion ausbreiten. Davon profitiert dann wieder die Werbewelt. Doch so weit wagt sich die Ausstellung zeitlich gar nicht vor. Ihr Kernstück, das Zusammenspiel von Kunst und Werbung, ist in die Zeit von der Jahrhundertwende bis in die frühen dreißiger Jahre gelegt.

Und so interessant und sehenswert die Ausstellungstücke im einzelnen sind, so bekannt ist der Kontext. Etwa die Geschichte von Pelikan und der Firma Günter Wagner, angefangen bei ihren Künstlerplakatwettbewerben bis hin zu den fotomontierten Anzeigen- und Plakatentwürfen von Kurt Schwitters und El Lissitzky. Nicht anders steht es mit den Firmen Bahlsen, Kaffee Hag oder Manoli-Zigaretten. Selbstverständlich fehlt weder der Deutsche Werkbund noch die AEG mit Peter Behrens.

Und auch die Sache mit Campbell's Tomato Soup, also die Frage, wie die hohe Kunst die niedrigen Formen der Massenkultur assimiliert und zu ihrem Thema macht, erweist sich als ähnlich überraschungslos. Kurt Schwitters Merz- Kunst (die er der Commerzbank beziehungsweise ihrem Namenszug entwendete) macht den Anfang, worauf notwendigerweise die vorweggenommene Pop-art von Stuart Davis und seiner Odol- Ikone von 1924 folgt und ebenso zwangsläufig Neo-Dada und die Pop-art der sechziger Jahre, also Eduardo Paolozzi, Wolf Vostell, Tom Wesselman, Jasper Johns und Andy Warhol schon wieder das Ende markieren. Nur Joseph Beuys „Ich kenne kein Weekend“, ein Aktenkoffer mit Maggiflasche und Kants „Kritik der reinen Vernunft“, der tatsächlich im Besitz von Maggi/Singen ist, stammt von 1971/72. Wie Barbara Krugers Slogan „I shop therefore I am“ immerhin von 1987 stammt. Daß er nicht nur als der riesige, ausgestellte Fotodruck existiert, sondern seinen bösen Witz damals erst auf der Tragetasche des Whitney Museum of American Art entfaltete, wird typischerweise unterschlagen.

Der „Kunst zu Werben“ fehlt der anonyme Alltag der Werbung, der nicht notwendigerweise der triviale sein muß. Es fehlt ihr der Pep, der Pop und der Seitenhieb. Etwa, daß die Imagekampagne oftmals mehr für die Bank geführt wird, von der man einen Kredit braucht, als für den Konsumenten. Statt dessen gibt es einen kreuzbraven Katalogbeitrag über „Strategien der Werbung“. Und um die manchmal geradezu erschreckende Großartigkeit der Werbung aufzuzeigen, darf man vor ihrer Lächerlichkeit und ihrer dummen Ideologie vom Glück durch Kauf nicht zurückzucken. Aber statt dessen setzt man auf die Alibiveranstaltung eines Aufsatzes über „Ethik und Werbung“.

Und wenn ich wieder an unser neuerdings blaues Blut denke, warum wurde zum Beispiel nicht mal die Reklame für die sogenannte Frauenhygiene untersucht? Wenn dieses Thema die Kunst zu Werben nicht herausfordert, welches dann? Auf die berühmten Namen hätte man auch hier nicht verzichten müssen, war es doch Lee Miller, die spätere Fotojournalistin (und Gefährtin Man Rays), die 1928 in der Zeitschrift McCalls auf einem Foto von Edward Steichen erstmals als Fotomodell für Monatsbinden von Kotex in Erscheinung trat. Doch apropos Werbefotografie: Ihr wird im Münchner Stadtmuseum besonders übel mitgespielt. Wenn man sie in ihrer aktuellen Form nicht gerade hinter Säulen versteckt, dann wird sie in ihrer historischen Form auf Glas gedruckt und läuft als dekorativ erleuchteter Fries hoch an der Wand über einem Treppenabsatz. Da läßt sich von ihr ungefähr so viel erkennen wie von den Objekten, die in Vitrinen liegen, die eigentlich Leuchttische sind – so gut wie nichts. Da die Objekte von unten bestrahlt werden, bleibt ihre Form schlicht im Dunkeln.

Am Ende sind es die Litfaßsäule, die Lichtreklame in der Großstadt, der Werbezeppelin und der Persil-Himmelsschreiber sowie der Sandwichmann, die den interessantesten Teil der Ausstellung bilden, in dem eine Laufbildprojektion schließlich die skurrilsten Werbevehikel der Außenwerbung zeigt, nämlich fahrende Schreibmaschinen, Walfische und Nationalkassen. Kritisch-erhellend ist auch der Side-step zur patriotisch bis martialischen Namensgebung von Produkten während des Ersten Weltkriegs, wie die nolens volens mitbedachte Geschichte der Werbung im Dritten Reich.

Wie der Konsum den Verbraucher, so läßt sich zum Schluß sagen, will „Die Kunst zu Werben“ ihr Sujet adeln, weswegen sie auch kein Big Mäc ist, sondern ein feudaler Hamburger Royal TS. Doch sie schmeckt einfach fade.

„Die Kunst zu Werben – Das Jahrhundert der Reklame“. Im Münchener Stadtmuseum bis 30. Juni. Vom 18. September bis 12. Januar 1997 in Hamburg. Katalog 48 DM