: Wahlkämpfer kennen keine Gnade
Politik ist in den USA ein blutiger Sport. Bei Seminaren werden AmerikanerInnen auf schmutzige Tricks gedrillt. Es gilt, den Gegner, so gut es geht, durch den Dreck zu ziehen. Grenzen gibt es keine ■ Aus Washington Andrea Böhm
Cindy Province ist nicht hier, weil sie eine Wahl gewinnen will. Sie ist hier, weil sie jemanden aus dem Amt jagen möchte. Vielleicht wirkt sie deshalb verbissener als die anderen Teilnehmer im Konferenzraum des Washingtoner „Marriott“-Hotels in der Arbeitsgruppe „Produktion von kostengünstigen Fernsehspots“. Jedes Wort des Referenten wandert über Cindys Finger sofort in ihren Laptop. Die monotone Stimme des Vortragenden und die staubtrockene Wärme aus der Klimaanlage haben einige Zuhörer eindösen lassen. Cindy Province hingegen sitzt kerzengerade in ihrem hochgeschlossenen Kostüm und tippt. Sie wäre, das sagt sie ganz ehrlich, jetzt viel lieber zu Hause in St. Louis bei „meinem Mann, meinem Söhnchen, meinem Garten und meiner Stickarbeit. Ich bin hier aus Pflichtgefühl.“ Und stellvertretend für ihre Mitstreiter der „Taxpayers Coalition for Accountable Government“ in St. Louis, einer Bürgerinitiative, die nur ein Ziel hat: die Wiederwahl des demokratischen Abgeordneten Richard Gephardt zu verhindern.
Gephardt ist Fraktionsführer der Demokraten mit Ambitionen auf das Präsidentenamt im Jahr 2000. Für Cindy Province ist er die Inkarnation des „liberalen“, arroganten Washingtoner Apparatschiks. Um ihn loszuwerden, muß Cindy Province nun in dasselbe schmutzige Geschäft einsteigen, in dem Richard Gephardt steckt: in die Politik.
Wie die meisten ihrer Landsleute versteht Province unter dem Begriff politics nicht etwa die Gestaltung des öffentlichen Lebens. Politics ist für sie nicht Inhalt, sondern „Verfahren“ – Manipulation, Feilschen und Lügen zum puren Zweck von Machterwerb und Machterhalt. It's politics ist in den USA eine durchweg negativ gemeinte Feststellung. „Liberale“, sagt Cindy Province angewidert, „haben Spaß an politics.“
Inzwischen ist Mittagspause beim jährlichen Fortbildungstreffen des Magazins Campaign & Elections, einer Fachzeitschrift für Wahlkampfmanager, Demoskopen und PR-Firmen, und der „American Association of Political Consultants“. Cindy Province pickt zwei Pommes von ihrem Mittagsteller. Für eine, der Politik zuwider ist, hat sie schon einiges gelernt. Die „Taxpayers for Accountable Government“ haben sich von einer Bürgerinitiative zu einem offiziell registrierten „Political Action Committee“ (PAC) gemausert. PACs dienen politischen Kandidaten als Geldkanäle, mit deren Hilfe sie die gesetzlichen Beschränkungen für Wahlkampfspenden umgehen können. Die aufrechten Steuerzahler um Cindy Province werden Geld sammeln, um damit den nächsten republikanischen Gegenkandidaten von Richard Gephardt zu unterstützen. „Und wir werden Werbezeit in Fernsehen und Radio kaufen, um die Wahrheit über Richard Gephardt zu verbreiten.“
Wahrheit ist ein relativer Begriff – vor allem im Wahlkampf. Deshalb tupft sich Cindy Province jetzt mit der Serviette die Lippen ab, packt ihre Aktentasche, ihr Handtäschchen und ihren Laptop und eilt zurück in den Konferenzraum, wo der Workshop über „Opposition Research in Comparative Advertising“ beginnt. Sinngemäß übersetzt lautet der Titel: „Wie ziehe ich meinen Gegner in den Schmutz?“
Der Saal ist so überfüllt, daß die Vorträge der Referenten über Lautsprecher in die Hotellobby übertragen werden müssen. Jeder will wissen, wie man die politische Konkurrenz mit Schlamm beschmeißt, ohne sich dabei selbst zu bespritzen. „Seien Sie so konkret wie möglich, wenn Sie ihren Gegner attackieren“, verkündet Phil Noble, dessen Nachname in pikantem Kontrast zu seiner beruflichen Expertise steht, die erste goldene Regel des negative campaigning. Die zweite lautet: „Nicht nachlassen. Wiederholen Sie Ihre Negativ- Infos immer wieder.“ Den Gegner einfach als Charakterschwein zu denunzieren hilft nicht. Details über Finanzskandale, Eheprobleme, Jugendsünden oder politische Fehler müssen akribisch recherchiert, peppig aufbereitet und mediengerecht plaziert werden.
Noble gilt als Topwahlkampfberater der Republikaner. So verwundert es nicht, daß er beim Gedanken an George Bushs Wahlkampf 1988 gegen den Demokraten Michael Dukakis ins Schwärmen gerät. „Wahrscheinlich die strategisch und technisch beste Negativkampagne überhaupt.“
Über 100.000 Files hatte Bushs Wahlkampfmannschaft 1988 über Michael Dukakis zusammengetragen – Schulnoten, Hobbys, Universitätslaufbahn, gesundheitliche Probleme seiner Frau, bis zur minutiösen Chronologie seiner Laufbahn als Gouverneur des Bundesstaates Massachusetts. Acht Reizthemen wurden herausgefiltert und einer Testgruppe von Wählern vorgelegt – darunter Dukakis' Opposition gegen die Todesstrafe, seine Mitgliedschaft in einer Bürgerrechtsorganisation sowie der Fall des Schwarzen Willie Horton, der während der Amtszeit von Dukakis in Massachusetts während eines Hafturlaubs eine weiße Frau vergewaltigt hatte. In der Testgruppe gab es eingangs eine Mehrheit von achtzig Prozent für Dukakis. Nachdem ihnen Videos über die Reizthemen vorgespielt worden waren, kippte die Stimmung um: Achtzig Prozent hoben die Hand für Bush.
Ausschlaggebend war nach Angaben der Testwähler der Fall Horton. Wahlkampfberater Tony Fabrizio entwickelte daraufhin den berühmt-berüchtigten „Willie-Horton-Spot“ mit entstellten Fotos von Horton und gestellten Szenen von Häftlingen, die durch eine Drehtür aus dem Gefängnis sofort wieder ins Freie kommen. Um seinen Kandidaten vor dem Vorwurf des Rassismus zu schützen, ließ Fabrizio den Spot von einer Organisation „Americans for Bush“ produzieren, die offiziell nichts mit dem Wahlkampfteam des Republikaners zu tun hatte. Michael Dukakis verlor die Wahl.
„Politik ist eben ein blutiger Sport“, sagt Phil Noble mit einer Miene angestrengten Bedauerns. „Neue Technologie und targeting sind die Erfolgsgeheimnisse des modernen Wahlkampfes“, sagt Cathy Allen, Präsidentin von „Campaign Connection“, einer Wahlkampf-Consulting-Firma. „Wenn Sie als Kandidat irgendwelche dunkle Flecken in ihrer Vergangenheit haben, zum Beispiel die berühmte eine Nacht mit irgendeiner Dame in irgendeinem Motel, dann rücken Sie gleich zu Beginn des Wahlkampfes damit raus!“ sagt sie in mütterlich-fürsorglichem Ton. „Sonst finde ich es raus.“ Was vor allem dann ungünstig ist, wenn Cathy Allen für die Konkurrenz arbeitet. „Ich habe nämlich unter meinen Klienten eine Gewinnerquote von 76 Prozent.“ Die beruht unter anderem darauf, daß Allens Kandidaten ihre Computersoftware bei Tony Fazio einkaufen.
Fazio sitzt wie ein kleiner Guru mit ergrautem Pferdeschwanz und gewölbtem Bauch an seinem Infostand auf der Minimesse der Wahlkampfindustrie, die in den Gängen und Lobbys des „Marriott“-Hotels stattfindet. An die Wand hat er ein riesiges Poster gehängt, auf dem ein Kampfbomber aus einem Feuerball herausbricht, während im unteren Eck das Gesicht einer Frau vom computerisierten Fadenkreuz erfaßt ist. „Campaign wargames“ steht in großen Lettern über Fazios Kopf. Er wollte, sagt er, eine Werbung, die „Aufmerksamkeit erregt“. Außerdem habe schon Winston Churchill erklärt, daß Politik wie Krieg sei – mit dem Unterschied, daß man mehr als einmal umgebracht werden könne.
Mit Hilfe von Fazios Software kann jeder Kandidat die demographischen, sozialen, ethnischen, ökonomischen und politischen Besonderheiten seines Wahlkreises bis ins kleinste Detail analysieren. Zwecks Demonstration holt er sich den Wahlkreis von Pomona in Kalifornien auf den Bildschirm und präsentiert innerhalb von sieben Sekunden die genau Zahl aller Männer irischer Abstammung unter 35 Jahren, die Hausbesitzer sind und das letzte Mal demokratisch gewählt haben.
Wieder klickt Fazio mit der Maus – und prompt sind alle demokratischen Wähler in Pomona in base targets und swing targets, in „feste“ und „mobile“ Ziele, eingeteilt, in Stamm- und Wechselwähler also. „Spielen Sie alle strategischen Szenarien durch!“ heißt es in Fazios Werbebroschüre. „War Games wird ihnen sagen, welcher Plan realistisch ist.“ Fazio preist sein Produkt für 395 Dollar an.
Die demographischen Daten muß der Kunde allerdings selbst besorgen, was aber in den USA nicht so schwer ist. Ein paar Meter von Fazios „War Games“-Show hat die Firma „Aristotle“ ihren Infostand aufgebaut. Namensstifter war in diesem Fall nicht der griechische Philosoph, sondern der Firmengründer John Aristotle Phillips, ein Mann mit Sinn fürs Unkonventionelle. Als Student machte er 1976 an der Princeton University Schlagzeilen, als er in seiner Abschlußarbeit detailliert den Bau einer Atombombe beschrieb. Das brachte ihm nationale Schlagzeilen, einen Besuch des FBI sowie Angebote des französischen und pakistanischen Geheimdientes ein. Anfang der achtziger Jahre kandidierte er für einen Sitz im US-Repräsentantenhaus. Ohne Erfolg als Politiker, beschloß Phillips, etwas anderes weiterzuverbreiten: Informationen über seine Landsleute. Heute ist seine Firma die einzige in den USA, die eine „Campaign Manager Software“ und die Daten aller registrierten Wähler verkauft: 120 Millionen Files mit Namen, Geburtsdatum, Tag der Registrierung, Einkommen, Parteizugehörigkeit, Adresse, Telefonnummer, Arbeitsplatz, ethnischer Abstammung. Diese Informationen über die Wahlausschüsse der Gemeinden, die Steuerämter, die Volkszählungsbehörde und aus Telefonbüchern zusammenzutragen und zu verkaufen ist in den USA völlig legal – und ein Verkaufsschlager: Zu „Aristotle's“ Kunden gehören Bill Clinton, Newt Gingrich, Pat Buchanan und Jesse Helms. Auch aus dem Ausland strömen Interessenten herbei. „Demokratie“, sagt John Aristotle Phillips, „ist eine Wachstumsbranche.“
Einer allerdings bekommt an diesem Wochenende ein wenig Bauchschmerzen. Francisco Gonzalez, Wahlkampfberater des Gouverneurs von Puerto Rico, findet diese Politikvermarktung seelenlos. Er kann weder mit Tony Fazios Kriegsmetaphern etwas anfangen noch mit Cindy Province' Angst. Auch die Nonchalance, mit der Wahlkampfberater zwischen Republikanern und Demokraten hin- und herpendeln, irritiert ihn. Politik hat doch etwas mit Überzeugung zu tun, oder?
Trotzdem reist er jetzt mit einem Stapel an Broschüren und Disketten nach Hause. Die Abschiedsworte eines gewissen Rick Ridder, Wahlkampfberater von Vizepräsident Al Gore, hört er nicht mehr. „Leute“, ruft Ridder zum Schluß, „ihr seid ein ganz besonderer Schlag Mensch, wenn ihr euch ein ganzes Wochenende mit Politik befaßt! Der Durchschnittsamerikaner tut das nur für fünf Minuten im Monat.“ Cindy Province nickt – voller Verständnis für den Durchschnittsamerikaner.
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