Kommt bald Licht ins Tunneldunkel?

Es war ein Bankraub wie aus einem guten Film, oben klauen und unten durch einen Tunnel verschwinden. Mehr als 16 Millionen steckten sie ein. Ab Dienstag stehen sie vor Gericht  ■ Von Barbara Bollwahn

Bis zum letzten Sommer war Berlin um einen Tunnel reicher. Zu den 140 legalen Tunnel war einer hinzugekommen, der aus dem Überfall auf eine Filiale der Commerzbank in Berlin-Zehlendorf den „Tunnel- Coup“ machte. Auch die Männer, die anderthalb Jahre in der Erde buddelten, waren nach dem größten Coup in der Berliner Nachkriegsgeschichte reicher: um 16,3 Millionen Mark.

Ab Dienstag müssen sich vor dem Berliner Landgericht drei Libanesen, zwei Syrer und ein Deutscher im Alter zwischen 23 und 46 Jahren verantworten. Unter anderem wird ihnen Geiselnahme, erpresserischer Menschenraub und schwere räuberische Erpressung vorgeworfen. Die Anklageschrift umfaßt über 100 Seiten, 259 Zeugen sind geladen und 17 Verhandlungstage angesetzt. Ende Juni soll das Urteil gesprochen werden, das den Angeklagten maximal fünfzehn Jahre Haft einbringen kann.

Was am 27. Juni letzten Jahres in der Commerzbank-Filiale im gutbetuchten Stadtteil Zehlendorf passierte, liest sich wie ein Krimi: Vier Männer in Overalls und Sturmhauben stürmen gegen zehn Uhr vormittags mit Maschinenpistolen, Splitterhandgranaten und Pump-guns die Bank-Filiale. Im Erdgeschoß nehmen sie 16 Kunden und Mitarbeiter als Geisel und und fordern 17 Millionen Mark Lösegeld, einen Hubschrauber und ein Fluchtfahrzeug. Während ein Sondereinsatzkommando der Polizei das Gebäude umstellt, nähern sich zwei Männer der Bank von unten – durch ein in monatelanger Arbeit gebuddeltes Tunnelsystem. Von dort aus bohren sie den sechs Zentimeter dicken Kellerboden an. Von oben klopft einer der vier Geiselnehmer mit einem Hammer ein Loch in die Kellerdecke. Der stellvertretende Filialleiter der Bank wird gezwungen, die Tresore in den Kellerräumem zu öffnen. Die Kundenschließfächer werden mit Brecheisen aufgehebelt und Banknoten, Goldbarren und Schmuckstücke ausgeräumt. Gegen 19 Uhr übergibt die Polizei den Geiselnehmern fünf Säcke mit Bargeld in Höhe von 5,62 Millionen Mark.

Autos und Hubschrauber, um eine Fährte zu legen

Auch die Forderungen nach einem Hubschrauber und einem Auto werden erfüllt. Doch die Gangster haben die Fluchtfahrzeuge nur bestellt, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken. Während die Beamten des Sondereinsatzkommandos gegen 22 Uhr ihre Schießeisen noch immer im Anschlag halten, machen sich die Gangster mit ihrer Beute durch den geheimen Tunnel aus dem Staub. Als die Polizei die Bank stürmt, findet sie die Geiseln unversehrt vor. Von den Gangstern indes fehlt jede Spur.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß das Superding von Angehörigen einer syrischen und einer libanesischen Großfamilie gedreht wurde. Der 46jährige Syrer Khaled B. gilt als das „Kopf“ der Bande. Der Röntgenologe soll den Plan im Gefängnis ausgeheckt haben, wo er wegen Drogenschmuggels einsaß. Dann soll er den 38jährigen Libanesen Dergham I. für seinen Plan gewonnen haben. In dem Disco-Türsteher hatte er einen wahren Tunnelfachmann gefunden: Dergham I., der nach Erkenntnissen der Ermittler die Erdarbeiten geleitet haben soll, hat das Tunnelbauen bei der PLO gelernt. Einen Teil der Helfer rekrutierten die beiden aus ihren eigenen Familien. Khaled B. weihte seine beiden Brüder Houda und Moutaz in seinen Plan ein. Ohne den Autolackierer Moutaz B. wäre der Tunnelcoup gar nicht möglich gewesen. Der 38jährige war der Pächter einer Garage schräg gegenüber der Commerzbank-Filiale. Er ging als „Tunnel-Toni“ in die Gerichtsakten ein. Auch Mitinitiator Dergham I. spannte ein Familienmitglied ein. Sein Bruder Ali half beim Tunnelbuddeln und war an dem Überfall beteiligt. Während die Hauptangeklagten bisher schweigen oder die Vorwürfe abstreiten, sind einige Mithelfer geständig. Mohanad K., gelernter Friseur, machte seinem Beruf alle Ehre und plauderte nach seiner Festnahme, ebenso wie der Sozialhilfeempfänger Houda B., munter drauf los. Auch Sebastian V., der wenige Tage nach dem Überfall von seinem Beuteanteil von 30.000 Mark jede Menge Möbel gekauft hatte, war bei seiner Festnahme geständig.

Doch wer die wahren Drahtzieher sind, ist bisher noch unklar. Die Spekulationen im Dunkeln des Tunnels reichen von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bis zu alten Stasi-Kadern. Immerhin waren zwei Tatverdächtige viele Jahre bei der Stasi registriert. So soll der Kopf der Bande, Khaled B., jahrelang unter dem Decknamen „Journalist“ für die Spionageabwehr des Ministeriums für Staatssicherheit gearbeitet haben. Der syrische Zahnarzt Bassam K., bei dem die Polizei mit 3,5 Millionen Mark bisher den größten Batzen der Beute gefunden hat, soll gar als Doppelagent gearbeitet haben. Nach den Stasiakten soll er sich auch im Umfeld des weltweit gefährlichsten Terroristen „Carlos“ und seines Europa-Chefs, Johannes Weinrich, herumgetrieben haben. Bassam K., der nach seiner Festnahme gegen Meldeauflagen wieder auf freien Fuß gesetzt worden war, hatte sich kurz nach der Verurteilung seines Bruders wegen dessen Stasitätigkeit nach Damaskus abgesetzt. Nun versucht er, den Staatsanwalt davon zu überzeugen, daß er in Damaskus nicht sicher sei. Angeblich will er wieder zurückkommen. Doch nur unter der Bedingung, daß ihm Straffreiheit zugesichert wird. Bassam K. hatte der Polizei gesagt, daß ihn ein befreundeter Kurde aus Syrien gebeten habe, die 3,5 Millionen Mark „für die kurdische Sache“ aufzuheben. Anfängliche Vermutungen der Polizei, daß das Geld für die PKK bestimmt sei – fast alle Verdächtigen sind Kurden mit syrischer oder libanesischer Staatsbürgerschaft – haben sich nach Polizeiangaben jedoch nicht bestätigt.

Wieviel Geld haben sie nun mitgehen lassen?

Die Staatsanwaltschaft schätzt die Beute auf insgesamt 16,3 Millionen Mark. Nach ihren Ermittlungen kommen zu den 5,62 Millionen Mark Lösegeld, die die Bank in der Eile nicht mal mehr registrieren konnte, 700.000 Mark aus den Tresoren und mindestens zehn Millionen Mark aus den 200 Schließfächern. Die Besitzer haben gerademal Verluste in Höhe von zwei Millionen geltend gemacht. Sollte die Beute gefunden werden und nicht noch ein Kunde Anspruch erheben, kann sich der Fiskus freuen.

An den größten Coup in der Berliner Nachkriegsgeschichte erinnert jetzt nur noch ein zubetoniertes Loch in der Garage von „Tunnel-Toni“, das, versteckt zwischen Hundefutter und Katzenstreu, kaum noch zu sehen ist. Im November zog in die Garage nämlich ein Hundefuttergeschäft ein. Doch selbst wenn die mutmaßlichen Gangster für die nächsten Jahre hinter Gitter wandern, wird ihr fast perfekter Coup nicht in Vergessenheit geraten. Die Polizei will einen Teil des 150 Meter langen Fluchttunnels in der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin ausstellen.