Mordvorwurf gerichtlich entsorgt

Das Oberlandesgericht Rostock lehnt eine Anklage gegen GSG-9-Beamte wegen der Tötung des RAF-Mitgliedes Wolfgang Grams ab. Das Gericht geht von Selbstmord aus  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Der mörderische Verdacht wird höchstrichterlich entsorgt. Das Oberlandesgericht Rostock (OLG) hat es abgelehnt, eine Anklage gegen Beamte der Grenzschutzsondereinheit GSG 9 wegen des Verdachts auf Mord am RAF- Mitglied Wolfgang Grams anzuordnen.

Grams war unter bis heute nicht eindeutig geklärten Umständen bei dem katastrophal fehlgeschlagenen Polizeieinsatz in Bad Kleinen am 27. Juni 1993 ums Leben gekommen. Bei der Schießerei auf dem Bahnhof waren auch der GSG-9-Beamte Michael Newrzella getötet und das RAF-Mitglied Birgit Hogefeld festgenommen worden. Die Bundesregierung zog in einem Abschlußbericht zu Bad Kleinen den Schluß, der bei dem Schußwechsel schwer verwundete Grams habe sich selber erschossen. Diese Version haben Zeugenaussagen und Gutachten wiederholt erschüttert. Der erste Strafsenat des Oberlandesgerichts verwarf mit seiner Entscheidung einen Antrag der Eltern des getöteten Grams als unbegründet. Ruth und Werner Grams hatten ein Klageerzwingungsverfahren in Gang gesetzt, nachdem die Staatsanwaltschaft in Schwerin die Ermittlungen gegen die Polizeibeamten eingestellt hatte. Zur Begründung führt das OLG in seinem Beschluß vom 29. März an, „daß die Beschuldigten der ihnen vorgeworfenen Straftat nicht hinreichend verdächtig und infolgedessen ihre Verurteilung in der Hauptverhandlung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist“.

Die Anwälte der Eltern Grams, die gestern den Beschluß des OLG veröffentlichten, werfen dem Gericht vor, „der erdrückenden Fülle der die GSG-9-Beamten belastenden Indizien und Beweise in keiner Weise gerecht“ geworden zu sein. So stelle das OLG „eine völlig neue Theorie zum Tatgeschehen auf“, um die sich widersprechenden Angaben von Zeugen und Polizisten erklären zu können. Das OLG führt in seinem Beschluß aus, daß „der Verletzte (Grams, d. Red) sich mit an Sicherheit grenzender Warscheinlichkeit während des Sturzes auf die Gleise in suizidaler Absicht den Todesschuß beigebracht hat“. Diesem angenommen Geschehensverlauf stehen nicht nur die Aussagen mehrerer Zeugen entgegen. Diese wollen gesehen haben, wie GSG-9-Beamte auf den bereits auf dem Gleiskörper liegenden Grams aus unmittelbarer Nähe geschossen haben. Auch ein Beamter des Bundeskriminalamtes, der den Schußwechsel vom Stellwerk des Bahnhofes aus verfolgte, sagte nach den Angaben der Anwälte in einer richterlichen Vernehmung aus, das „unmittelbare Hinzuspringen der GSG-9- Beamten“ nach dem Sturz von Grams auf die Gleise beobachtet zu haben. Trotzdem hatten die GSG-9-Beamten ausgesagt, über eine Selbsttötung von Grams keine Angaben machen zu können. Diesen Widerspruch erklärt das OLG nun damit, daß „die Vielzahl der in diesem Augenblick sich darstellenden Eindrücke ... eine genaue Beobachtung infolge der Reizüberflutung unmöglich machten“.

Die Anwälte der Familie Grams werfen dem OLG das „offensichtliche Bemühen“ vor, „belastendes Aktenmaterial zu ignorieren“. Dieses Bemühen ziehe sich wie ein roter Faden durch die Begründung des 38seitigen Beschlusses und könne mit einer Vielzahl weiterer Beispiele belegt werden.

Mit der Ablehnung des Antrages auf Klageerzwingung ist für die Familie der sogenannte „ordentliche Rechtsweg“ ausgeschöpft. Der Verdacht, daß die offiziell verbreitete und die GSG 9 entlastende Version zu den Todesumständen nicht zu halten ist, bleibt allerdings. Die Anwälte wollen nun prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verfassungsbeschwerde oder eine Klage beim Europäischen Gerichtshof vorliegen.