■ Stichwort: Lohnfortzahlung
: Hundert Jahre Kampf

Seit einhundert Jahren ist sie umkämpft – die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für alle abhängig Beschäftigten. Im Jahre 1896 wurden erstmals Regelungen für kranke ArbeiterInnen und Angestellte getroffen – sie konnten allerdings noch „abbedungen“, also vertraglich außer Kraft gesetzt werden, was in der Regel der Fall war. Für Angestellte gilt die hundertprozentige Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag in Deutschland seit 1930. ArbeiterInnen blieben schlechtergestellt. Nach drei Karenztagen ohne Lohn erhielten sie sechs Wochen lang lediglich 50 Prozent ihres Grundlohnes.

Erst im Jahre 1956/57 erkämpften die Gewerkschaften mit einem viermonatigen Streik von 34.000 Metallarbeitern in Schleswig-Holstein ansatzweise die Gleichstellung der ArbeiterInnen. Ab dem dritten Tag erhielten sie fortan 90 Prozent des Nettolohns als Krankengeld. Zwei unbezahlte Karenztage mußten sie im Krankheitsfall jedoch weiterhin in Kauf nehmen.

Erst mit einem neuen Lohnfortzahlungsgesetz, das die Große Koalition 1969 verabschiedete, wurden ArbeiterInnen und Angestellte vollends gleichgestellt. Seither ist der Arbeitgeber verpflichtet, ab dem ersten Krankheitstag sechs Wochen lang das Arbeitsentgelt voll zu ersetzen. Die Lohnfortzahlung berechnet sich in der Regel nach dem durchschnittlichen Verdienst der letzten drei Monate. Bei längerer Krankheit springen anschließend 78 Wochen lang die Krankenkassen ein. Sie zahlen dann 80 Prozent des vorherigen Gehalts.

Mit der erneuten Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes im Jahr 1994 gilt die Lohnfortzahlung auch für Teilzeitbeschäftigte in vollem Umfang. Seitdem kann der Arbeitgeber zudem bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an ein ärztliches Attest verlangen.

Deutschlands Manager monieren seit Jahren, daß sie die gesetzlich und tariflich verankerte Lohnfortzahlung viel zu teuer zu stehen kommt. Jährlich 21 krankheitsbedingte Fehltage pro Arbeitnehmer ermittelten die Betriebskrankenkassen 1994. In der öffentlichen Verwaltung wurden sogar 28 Fehltage pro Versicherten gezählt. Nach einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) von 1994 beträgt der Krankenstand in deutschen Unternehmen durchschnittlich 5,5 Prozent der Belegschaft. Damit, so behaupten die Arbeitgeber, wären im Schnitt 1,6 Millionen Beschäftigte zu jeder Zeit des Jahres krank.

Den Unternehmen, so errechnete das IW, entstünden dadurch Kosten in Höhe von rund 60 Milliarden Mark. Allein bei BMW entfallen jährlich rund 144 Millionen Mark auf die Lohnfortzahlung, bei Opel sind es 213 Millionen Mark, bei VW zirka 520 Millionen. Die Milliardengrenze wird sowohl bei Telekom und Post als auch bei der Deutschen Bahn AG überschritten. Karin Flothmann