Sparopfer Kinder

■ betr.: „Zornige Eltern“, taz vom 2.4. 96

Es handelt sich nicht um irgendwelche „Ausflüge“ oder gar „Ausfahrten“, die nicht mehr finanziert werden, sondern um mehrtägige Reisen der Kita- oder Hortgruppen, um den Kindern wenigstens einmal im Jahr einen Aufenthalt außerhalb der kaputten und verpesteten Großstadt zu ermöglichen. Viele Kreuzberger Familien können sich Ferienreisen gar nicht erlauben. Die Fahrten wurden bis auf einen Eigenanteil der Eltern in Höhe von zirka 250 DM vom Bezirk finanziell unterstützt. Die ErzieherInnen erhielten die Mehrarbeit (Nächte, Wochenenden, Feiertage), die Fahrt- und Unterbringungskosten bezahlt.

Diese Zuschüsse sind gestrichen. Die Kinder können nicht verreisen. Denn die Kosten müßten von den ErzieherInnen (Gehalt um zirka 2.000 DM!) entweder selber aufgebracht oder von den Eltern zusätzlich zu den nun stark erhöhten Fahrtkosten mitbezahlt werden. Dies ist jedoch weder finanziell möglich noch politisch zu verantworten. Die angebotene Anrechnung der Mehrarbeit als Überstunden, die dann später freigenommen werden, würde eine unzumutbare Belastung der übrigen Kitabetreuung bedeuten. Bereits jetzt sind die Gruppen nur selten planmäßig besetzt. Kitaalltag ist Mängelverwaltung.

Dagegen richtet sich unser Protest, die verheerenden Kürzungen sind in unserem Flugblatt aufgelistet. Organisiert wurde die Aktion gemeinsam von ErzieherInnen und ElternvertreterInnen mehrerer Gruppen!

Noch ärgerlicher als die sachlichen Fehler ist allerdings, daß der Eindruck erweckt wurde, die Kinder selber hätten kein Interesse außer Fußballspielen gehabt. Den weitaus meisten Kindern war es sehr wichtig, im Rathaus gegen die Mißstände in ihren Kitas und Horten zu protestieren. Sie sind es schließlich, die die Folgen direkt spüren. Unsere Rolle ist, daß wir den Kindern erklären, warum es kein neues Spielzeug gibt, warum sie nicht verreisen können, warum sie schon wieder in andere Gruppen aufgeteilt werden müssen und und und ... Vielleicht hätte er auch anders geschrieben, wenn er miterlebt hätte, wie die Kinder während unseres Sammelzuges mit den Beschäftigten im Rathaus gesprochen haben. Kommentar unserer Kinder zu dem Text: „So'n Quatsch! Wenn wir nur Fußball spielen wollten, würden wir doch nicht ins Rathaus gehen, sondern auf den Kreuzberg. Wir waren da, weil wir Reisegeld wollen!“ Angela Schäfers

Liebe Angela Schäfers, grüne PolitikerInnen haben nicht nur Verständnis für Proteste gegen die soziale Schieflage des jetzt beschlossenen Sparpakets, sie haben auch unzählige Vorschläge zur Verbesserung der Einnahmesituation des Landes Berlin sowie zur sinnvollen – eben nicht nach der Devise „sozialer Kahlschlag“ – sozial und ökologisch orientierten Ausgabenpolitik des Landes gemacht. Auch Dir als aufmerksamer Zeitungsleserin und politisch Erfahrener dürfte dies nicht entgangen sein. Ansonsten teilen die Grünen in dieser Hinsicht das Schicksal der PDS, deren Vorschläge auch in dem Parlament der Großen Koalition kein Gehör fanden. Weiterhin müßtest Du als ehemalige Bezirkspolitikerin der Grünen, auch nach Deiner Orientierung in Richtung PDS, wissen, daß das Kommunalparlament kaum Handlungsmöglichkeiten hat. Daran hat auch die begonnene Umsetzung der Verwaltungsreform nicht viel geändert. Erinnerst Du Dich, wer für die katastrophale Verschuldung von Berlin verantwortlich ist? Es ist die Große Koalition und die sie tragenden Parteien, nicht jedoch grüne PolitikerInnen. Warum gibt es wohl einen Globalhaushalt für die Bezirke, der die Illusion weckt, daß jetzt vor Ort entschieden werden könne. Der Senat hat sich damit aus der Verantwortung gemogelt. Der Protest gegen die massiven Kürzungen kann nach unten abgegeben werden, an diejenigen, die kaum Handlungsspielräume haben, dafür aber für den sozialen Kahlschlag geradestehen sollen.

Dein Kommentar zum Unwesen und zur Unglaubwürdigkeit grüner PolitikerInnen bringt Dir zwar die Gewißheit der Präsenz in der Zeitung ein, ist ansonsten aber eine Luftnummer. Oder was würdest Du vorschlagen? Ämter zurückgeben und die anderen machen lassen? Ob das die bessere Strategie ist, um mit dem Sparhaushalt umzugehen, darf doch arg bezweifelt werden. Mechthild Brockschnieder, Mitglied der BVV Fraktion B'90/ Die Grünen, Kreuzberg