Fütterung eines Walfischmaules

Unterleibsgrafik oder Gebrauchsanweisung? Den Versuch einer Einführung macht  ■ Juliane Westphal

In Gedanken suche ich meinen Körper ab nach den Gegebenheiten, die einer betrachtenden Person das Bild „weiblicher Körper“ vermittelt. Weiblich? Wie weiblich? Weiblich genug? Zu weiblich? Kaum weiblich? Die eigene Suche entspringt oft solchen Fragen zwischen Qual und Lächerlichkeit eher als einer Lust am eigenen Körper.

Das Bild meiner Brüste zum Beispiel: Manchmal habe ich Freude an ihrer Form, ihrer Eigenheit, der Potenz des Nährens, die in ihnen steckt. Aber dann frage ich mich: Sind sie unter dem Pulli noch zu sehen? Wie dick muß ich werden, daß sie die richtige Größe bekommen? Sie sind nicht so schön groß und rund wie die von der, aber, ein Segen, nicht so wie die. Nur selten bleibe ich unberührt durch die dauernd präsenten Brustbilder, deren stimulierende Wirkung die Kompensation der Befriedigung fördern soll oder, medial, die Kompensation der Kompensation. Dieser Funktionalität zum Trotz lassen diese Bilder mich in meiner Selbsteinschätzung nicht in Ruhe. Mein alltägliches Brustbild geht von der äußeren Erscheinung aus. Die Erinnerung daran, daß ich alle Empfindungen, die ich mit Brüsten verbinde, doch über die, die ich habe, erfahren habe, versöhnt mich erst zuletzt. Mir fällt auf: Von dem, wie es in meinen Brüsten aussieht, habe ich kaum ein Bild. Also davon, was sich unter der Haut und hinter der Brustwarze verbirgt. Vage Erinnerungen an die Darstellung von Fettgewebe und Drüsen im Biologiebuch.

Anders bei der Vagina. Dort scheint es gerade umgekehrt zu sein: Das typisch öffentliche Bild ist nicht ein Foto oder eine Illustration vom Äußeren, sondern eines vom Körperinneren. Neben der Möglichkeit des Einführens und Eindringens scheint das äußere Bild unattraktiv oder überflüssig zu sein, mal abgesehen von explizit pornographischen Medienprodukten. Woraus setzt sich daher mein alltägliches Bild der Vagina zusammen?

Einmal natürlich auch durch den Blick auf meine eigene; der ist, im Gegensatz zu dem auf meine Brüste, relativ unverstellt von Konkurrenz, Normansprüchen und Fremdbildern. Sie ist mehr ein Teil von mir als etwas von mir Angeschautes. Die Vorstellung von dem ohne Medien nicht sichtbaren Teil meiner Vagina ist gespalten: einerseits das Gefühl der Wärme, der mal harten, mal weichen Muskelringe, der Feuchtigkeit, gehütete Dunkelheit, wohlige und ekstatische Empfindungen, manchmal auch juckende, schmerzende. Andererseits: Die bildliche Illustration scheint die einzige Form zu sein, die Einführung – zum Beispiel eines Tampons – zu erklären, was sicherlich nicht nur aus Rücksicht auf Vielsprachigkeit und Analphabetismus geschieht. Der Vorgang des Einführens läßt sich am einfachsten visuell vermitteln.

Um mehr darüber zu erfahren, was mein Körperbild mitbestimmt – oder ein zweites etabliert –, sammle ich Grafiken, Gebrauchsanweisungen von alltäglichen, vaginal einzuführenden Präparaten und Gegenständen. Einmal die Wohnung durchforstet, noch ein Gang in die Apotheke, durch den nächsten Drogeriemarkt, in die Beratungsstelle, und schon verfüge ich über eine stattliche Kollektion. Ich schneide die kleinen Grafiken aus und lege sie nebeneinander, will ich mich doch nur mit der Darstellungsweise beschäftigen, nicht mit dem Beschreiben der Bilder. Mein Blick schweift also über ein Feld kleiner Bilder.

Bis auf wenige Ausnahmen ist die Zeichnung einer Hand zu sehen, die einen Gegenstand vor den sogenannten Schnitt durch den Unterleib hält oder, noch öfter, in ihn einführt. Der anatomische Schnitt durch den Körper, in diesem Fall längs durch die Mitte, macht die Körperhälfte von innen sichtbar. Ich sehe auf den Grafiken eben nicht nur einen Finger oder einen Gegenstand, der in die Vagina gesteckt wird, sondern auch, wo sie landen: der Tampon, das Verhütungsmittel, die Medikamente – zumeist direkt vor dem Muttermund.

In den Schulbüchern waren solche Darstellungen mit Zahlen versehen, denen wiederum am Rande Begriffe zugeordnet waren. Diese Begrifflichkeit wird im Allgemeinen in diesen Anleitungen vorausgesetzt. Die Grafiken lassen sich einteilen in die, wo das Umfeld der Gebärmutter gerastert, in die, wo die Gebärmutter gerastert ist, und in die, die auf verschiedene Raster, fein oder grob gestreift oder gepunktet, verzichten. Weiter in den Körper hinein sind die Grafiken, bis auf ganz wenige Ausnahmen, wieder gleich. Nur eine Darstellung, die es in zwei Versionen gibt – mit gerasterten Organen für die einfachen Tampons und ohne Rasterflächen für die mit Einführhülse –, zeigt mehr, zeigt auch noch Eierstöcke, die sonst, weil für den Einführungsvorgang überflüssig, weggelassen werden.

Warum kommt aber eine der ansonsten gleichen Darstellungen nur mit Linien aus? Geht sie vielleicht davon aus, daß Frauen, die Tampons mit Einführhülse benutzen, eher in der Lage sind, komplexe Zusammenhänge und Vorgänge zu begreifen – auch visuell und ohne vereinfachende Strukturen wie Rasterflächen? Hat sie deshalb eine Vorliebe entwickelt für die etwas komplizierte Form der Tampons mit Einführhülse? Sollte die damit verbundene Kulturleistung etwa auch Grund sein für diese Version, die einer Frau die größere Distanz zum Körperinnern gewährt?

Es fallen die sehr kräftigen, schwarzweißen Organe auf, die im Nichts, ohne äußere Körperform auf dem weißen Blatt schweben. Dazu eine scheinbar ins Bild fliegende gezeichnete Hand, die ein Diaphragma in die Vagina einführt oder, durch einen Pfeil im Finger in Richtung Arm gekennzeichnet, das Diaphragma wieder herauszieht. Oder soll der Pfeil nur daran erinnern, den Finger nach der Plazierung wieder aus der Vagina zu ziehen? Vielleicht sollen die gerasterten Flächen auch die virtuelle Durchsicht, das heißt die faktische Unsichtbarkeit, darstellen, wenn man einmal nicht vom Durchschneiden ausgeht? In einem dieser Bilder soll das Konstrukt dieser Sicht direkt verdeutlicht werden. Anstatt, wie sonst üblich, die körperumreißenden Linien oben und unten aus dem Bild herauslaufen zu lassen, wie zum Beispiel bei einer Ausschnittsfotografie, wird der Körper da, wo er für die Benutzung des Diaphragmas nicht mehr wichtig ist – also am Bauch und am Bein –, durch eine Linie quasi abgeschnitten. Es handelt sich hier um das Bild, das das Herausnehmen des Diaphragmas illustriert, und vielleicht soll es auch zeigen, daß eine Frau zu dem Zeitpunkt nicht mehr so stark und gesamtheitlich empfindet wie beim Zeitpunkt des Einsetzens.

Was bei weiterem Schweifen des Blickes irritiert, ist, daß ich zwar auf der einen Seite konventionelle „Schnitte“ sehe, gleichzeitig trotzdem das bei der Teilung abgeschnittene Bein zu sehen ist. Geht es also nur um die Sentimentalität eines Grafikers, gar einer Grafikerin? Es kann ja kaum behauptet werden, die GrafikerInnen würden hier puristisch der anatomischen Zunft dienen; sie beteiligen sich an mancher Stelle sehr rege an der Gestaltung des Körperinneren.

Da greift zum Beispiel eine schräggestreifte Hand, das heißt ein Finger davon, ein feingepunktetes Diaphragmateil, das vor grobgepunkteter Gebärmutter sitzt, an einem Punkt, der – schriftlich – als Schambeinnische gekennzeichnet ist, wohl um das Herausziehen zu demonstrieren. Das Ganze von diversen Linien, schräggestreiftem Darm und Schambein sowie weißer Blase gerahmt. Lange nicht so aufwendig, viel patenter, könnte man sagen, hat es der Hersteller von Verhütungs-Vaginalschaumzäpfchen mit der Grafik in der Gebrauchsanweisung gehalten. Die Vagina (die Gebärmutter ist nur angedeutet) als einzige Körperöffnung für das Präparat notwendig, ist auch die einzige in der Abbildung dargestellte. Der Rest des Körpers besteht aus zartem, gleichmäßigem Punktraster (demselben übrigens, das auch auf der Fläche des Zäpfchens liegt) ohne weitere Körperöffnung oder Struktur: Der Körper eben auf das für das Verhütungsmittel Wesentliche reduziert. Wozu dann noch ein Verhütungsmittel? Diese Frage sprengt offensichtlich den Rahmen eines Beipackzettels, ist allerdings für die Marktfähigkeit des Produktes auf Dauer nicht ganz unwesentlich.

Bei einer weiteren Reihe von Grafiken, auf der das Einführen eines Tampons demonstriert wird, mahnt die durchscheinende Schrift – das Ganze ist auf sehr dünnem Papier gedruckt –, nicht zu vergessen, daß diese Bilder nicht Körper sind, sondern mediale Vermittlung desselben, Teil gesellschaftlicher Konstruktion visueller Wirklichkeit, die auch vor dem Körperinneren nicht haltmacht. Vielleicht hat die Person, die die Grafik mit der Portiokappe gestaltet hat, Ähnliches zu thematisieren versucht, indem sie – nicht dem Motiv nach, aber stilistisch – Roy Lichtenstein kopiert hat. Er war schließlich einer der ersten Künstler, der durch das Abmalen von Comics mediale Aspekte in der Malerei thematisiert hat. Die hier vorliegende Unterleibsgrafik ist diesen Bildern formal frappierend ähnlich: die grob gerasterte Gebärmutter, die reduzierte Form; auch hier sind alle anderen Organe und Körperöffnungen weggelassen worden. Diese cleane Ästhetik verzichtet auf Anus und Blase, und der harte schwarze Schatten um Finger und Portiokappe stellt gleichzeitig die Vagina dar.

Tampons und Verhütungsmittel werden im Stehen eingeführt, während Medikamente, wie zum Beispiel Vaginaltabletten oder Creme, zur Behandlung von Pilzinfektionen per Applikator vor den Muttermund befördert, im Liegen eingeführt werden. Eine Ausnahme: wenn Diaphragma-Creme vor wiederholtem Geschlechtsverkehr mit dem Applikator nachdosiert wird. In der Regel werden auf den Grafiken mit liegendem Körper die Produkte mit dem Applikationsstab eingeführt. Auch hier eine Ausnahme: Die Vaginaltablette kann alternativ auch mit der Hand eingeführt werden. In dieser Zeichnung ist der Körper allerdings auch formalästhetisch so stark an den Applikationsstab angelehnt, daß er kaum zu erkennen wäre, wenn nicht „Scheide“ neben dieselbe in den Körper geschrieben stünde. Würde das nicht dranstehen, könnte die Version ohne Applikator ebensogut die Fütterung eines Walfischmaules stilisieren.

Wie reagiere ich nun auf diese mir alltäglich und vielfach präsentierten Körper im Schnitt, diese Oberflächengestaltungen des Körperinneren? Bringe ich sie mit meinen eigenen Körpereindrücken und -empfindungen zusammen, oder, umgekehrt, ist es überhaupt möglich, die eigene Körperbetrachtung so von diesen Bildern abzuspalten, wie ich es beschrieben habe? Diese Trennung scheint mir ganz stark von dem Wunsch bestimmt, daß ich mich als Individuum in meiner Selbstwahrnehmung der medialen Existenz des Körpers entziehen kann. Ich möchte meinen Körper nicht in diesen Gebrauchsanweisungszeichnungen wiederfinden, die sich in ihrer Darstellung wenig unterscheiden vom Beipackzettel meines Fahrradflickzeugs; die Empfindungen, die von meinen Organen herrühren, nicht mit diesen gepunkteten oder gestreiften Flächen in Verbindung bringen. Daß ich es aber doch tue, entlarvt sich durch Ekel und Abscheu, die in mir aufkommen, wenn ich diese Grafiken nebeneinanderliegen sehe.

Abgesehen davon bin ich durchaus in der Lage, diesen Gebrauchsanweisungen praktisch, am eigenen Leibe zu folgen, der einfachste Beweis für die von mir hergestellte Verbindung. Wenn ich nun davon ausgehe, daß ich meinen Körper habe, scheint es mir ungewöhnlich, daß es unterschiedliche Bilder davon gibt. Gehe ich aber davon aus, daß ich mein Körper bin, hat die Berührung dieser unterschiedlichen Modelle eine weiterreichende Bedeutung. Sie heißt, daß ich an diesen Punkten auch beides bin, das Fleisch, das ich spüre, und die Zeichnung, die ich sehe. Gehe ich nun auch noch davon aus, daß mein Ich nicht meinem Körper gegenübersteht, sondern mein Körper ist, so scheint mir das Erschaudern vor diesen Bildern eines davor zu sein, daß mein Ich sich, unter anderem, aus diesen grafischen Reduzierungen zusammensetzt; und daß dieser Teil von mir eine technokratische Verwaltung von Körper reproduziert, sich mit den Einführstäbchen und -hülsen verbindet wie in den Darstellungen selbst.

Meine Ausscheidungen retten mich aus dieser Not, nicht nur weil sie auf dieser grafischen Unterleibsebene einfach nicht existieren und damit auf eine Realität außerhalb dieser Bilder verweisen. Sie lassen mich auch mein Körperinneres spüren, meine Organe, sozusagen als direktes Medium. Nicht zuletzt sind sie auch, im Gegensatz zu den Grafiken mit den klaren Linien, Begrenzungen und Flächen, ständig im Prozeß der Auflösung – und erinnern daran, daß Körper auch schmutzig und schleimig sind.