Traumbesetzung

■ Günter Heinsohn, Vorsitzender Richter am Landgericht, geht in den Ruhestand / Eine Würdigung von Hilmar Zschach

„In welcher Welt leben wir eigentlich?“ Das ist so eine Frage, wie sie in dieser oder ähnlicher Form gelegentlich von Günther Heinsohn in mündlichen Urteilsbegründungen gestellt wurde - ohne daß er sie beantwortet hat.

Die Frage war Ausdruck für das Unfaßbare, das jemand verarbeiten muß, der wie Heinsohn lange Jahre über Menschen urteilen muß, die andere Menschen getötet haben. Die aus Motiven getötet haben, die manchmal zumindest nachvollziehbar waren, oder die Lebensläufe mit sich rumschleppten, die ihr Handeln begreifbar machten. Oft aber war der Anlaß dafür, daß ein Mensch einen anderen tötet, so gering und ein Menschenleben so wenig wert, daß nur die Frage blieb: „In welcher Welt leben wir eigentlich?“

Günter Heinsohn hat am Montag zum letzten Mal in einer Urteilsbegründung diese Frage unbeantwortet gelassen. Er war 17 Jahre lang Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer 1 des Hamburger Landgerichts und geht in der kommenden Woche in den Ruhestand.

Da saß einer über Angeklagte zu Gericht, der immer spüren ließ, daß die Unschuldsvermutung kein leeres Wort ist. Sowas drückt sich auch darin aus, wie ein Richter mit Angeklagten umgeht. Diejenigen, die sich vor Heinsohn verantworten mußten, merkten schnell, daß sie nicht schon deshalb schuldig waren, weil eine Anklageschrift auf dem Tisch lag. Da gab es kein Vorurteil, das nur noch schnell bestätigt werden mußte. Und es galt - im besten Sinne des Wortes - der Grundsatz : Im Zweifel für den Angeklagten. Viele Richter, die als Beisitzer bei ihm in die Schule gegangen sind, schwärmen geradezu davon, wie sie bei ihm menschenwürdiges Strafrecht gelernt haben.

Und es liegt nicht nur an seiner beruhigend wirkenden Stimme, daß bei ihm ganz selten aufgeregte Anwälte neben der Sache liegende Anträge gestellt haben. Wenn Heinsohn den Prozeßbeteiligten mitteilte, daß seiner Meinung nach die Beweisaufnahme beendet werden könnte, dann wurde sie meist auch beendet. Denn er gehörte zu den wenigen Richtern, die ihre Aufgabe so ernst nahmen, daß man sich eigentlich den Verteidiger ersparen konnte.

Nicht allerdings aus Heinsohns Sicht. Für ihn war es immer am beruhigendsten, wenn ein guter Strafverteidiger im Saal war, um richterliche Unzulänglichkeiten auszugleichen. Und so viele gute Strafverteidiger gibt es nicht in Hamburg, daß er immer ein gutes Gefühl haben konnte. Kritiker hatte Günter Heinsohn innerhalb der Staatsanwaltschaft.

Und zwar bei den Staatsanwälten, die lieber Großwildjäger geworden wären. Oft Staatsanwälte, die etwa mit einer schnellen Mordanklage daherkamen und nicht verkraften konnten, daß am Ende der Beweisaufnahme ein Totschlag oder gar ein Totschlag in einem minder schweren Fall deutlich wurde, so daß kein Lebenslänglich, sondern eine angemessene zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe verhängt werden mußte. Ihnen war Heinsohn zu milde, und sie verdrängten, daß dieser Richter sich nur streng an das Gesetz und an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hielt. Manchmal waren ihre Bemerkungen über Heinsohn von solcher Art, daß man sich fragen konnte: „In welcher Stadt leben wir eigentlich?“

Und für all diejenigen, die in der leider notwendigen richterlichen Tätigkeit auch das Bemühen sehen, neben der Suche nach dem Recht, den Versuch zu unternehmen, gerecht zu sein, war Günter Heinsohn die Traumbesetzung eines Schwurgerichtsvorsitzenden.

Das Präsidium des Landsgerichts hat bereits einen Nachfolger bestimmt. Einen Richter, der die Hardliner unter den Staatsanwälten ruhig stellen wird, weil er nicht im Verdacht steht, die liberale Tradition von Heinsohn fortzusetzen.