Selbstbewußt bescheiden

■ Der britische Architekt Ian Ritchie, ein konzeptueller Generalist und radikaler Teamworker, stellt heute seine Arbeit vor Von Till Briegleb

Das Ziel seiner Architektur sei es immer, „eine optimale Lösung zu erreichen, ob diese nun innovativ ist oder nicht.“ Ian Ritchies Bekenntnis zu einer Architektur, die sich der individuellen Aufgabenstellung unterordnet, anstatt einer Stil-Prämisse zu folgen, mag aus dem Munde eines britischen Architekten etwas verstörend wirken. Denn die Vorstellung einer Architektur von der Insel zerfällt gemeinhin in zwei Pole, die beide viel Wert auf das Gesicht von Gebäuden legen: Die von Prinz Charles herrschaftlich gefütterten Traditionalisten, die hinter historisierenden Fassaden moderne Bürostrukturen verstecken, und die britische High-Tech-Schule um Richard Rogers, Norman Foster und Nicolas Grim-shaw, die in persönlicher Ausprägung die Konstruktion des Gebäudes zu seiner Ästhetik wandeln.

Zwar haben die Arbeiten des Büros von Ian Ritchie durchaus Affinitäten zu letzteren, aber eine, wie Ritchie es nennt, „ganzheitliche Sicht von Architektur“, wie er und seine Partner sie zu verwirklichen suchen, ist doch weit mehr prozessual orientiert und weit weniger auf Wiedererkennbarkeit festgelegt. Was sich im ersten Moment wie ein zerfledderter Nachtrag auf New-Age-Philosophien anhört ist – ganz im Gegenteil – ein überaus komplexes Konzept bewußt verarbeiteter Bezüge, die wesentlich für Architektur sind, aber, soweit sie von Architekten überhaupt berücksichtigt werden, normalerweise hinter dem Signet eines Büros verschwinden.

Unter Architekten ausgesprochen unpopuläre Gedanken über die Partizipation der Anwohner und die Rechte der Passanten finden in Ritchies Überlegungen zu einer zeitgenössischen Architektur ebenso Eingang wie die Optimierung von Energiesparmaßnahmen oder die Reduzierung von Materialien. Die Veränderungen, die die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften für die Architektur bedeuten könnten, wenn man bereit ist, das starre Konzept der konventionellen Geometrie zu überdenken, problematisiert Ritchie in seinem Buch Architektur mit (guten) Verbindungen gleich neben einer Diskussion über die sozialen und ökologischen Folgekosten von schlechter Architektur und Städteplanung.

Hinter diesem generalistischen Ansatz steckt tatsächlich eine ganz einfache Formel: Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen autonomen Persönlichkeiten auf einer gleichberechtigten Ebene. In der Praxis bedeutet dies, daß sich Ritchies Büro schon in der ersten Planungsphase mit externem Sachverstand kurzschließt und zwar, immer entsprechend der Bauaufgabe, aus der breiten Palette vom Künstler bis zum Ingenieur. Gemeinsam mit allen Beteiligten wird ein Preconcept entwickelt, das dann in kooperierender Verantwortung gemeinsam umgesetzt wird. Grundsätzliche Bereitschaft zur Verständigung in jeder Phase und prinzipielle Offenheit für alle Vorschläge gehören für Ian Ritchie zu den wichtigsten Bausteinen auf dem Weg zu einer qualitätsvollen Architektur.

Wie dieses Konzept der „selbstbewußten Bescheidenheit“ in der Realität aussieht, verdeutlicht vielleicht am Besten das Konzept des Büros für eine Führungsakademie auf einem alten Zechengelände in Herne-Sodingen im Rahmen der IBA Emscher Park. Nach einer intensiven Beschäftigung mit der Beschaffenheit und der Geschichte des Geländes und einer Untersuchung der sozialen Struktur des umliegenden Gebietes beschloß das Büro, kein repräsentatives überirdisches Gebäude in die Landschaft zu pflanzen. Stattdessen entwickelten sie eine unterirdische Lösung, die aber verschiedenste Komponenten integrierte. Der Eingriff in die natürliche Parklandschaft geschieht lediglich durch ein Taleinschnitt, an dessen Rändern hinter Glaswänden die Akademiekomplexe in die Erde gebaut werden. Dadurch läßt sich ein ideales ökologisches und energiesparendes Konzept verwirklichen, das gleichzeitig den Park als öffentliche Freifläche für die umliegende Bevölkerung erhält aber trotzdem ein exklusives Ambiente bietet.

In seinem Lichtbildvortrag heute abend wird Ritchie sein bevorzugtes Baumaterial Glas in seinen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten aufzeigen. Ian Ritchie – Architektur mit (guten) Verbindungen, Ernst & Sohn, 96 S., 68.- Mark Vortrag heute, Freie Akademie der Künste, 19.30 Uhr