Viel Sinn drin

■ Weder Anspruch noch Wirklichkeit: Udo im CCH

„Hamburg ist halt immer der Wahnsinn“, freut sich Udo, schwitzend und dienernd den Applaus aufsaugend. Und daß dieser Ausruf keine Broadwayplattitüde ist, das glauben wir ihm, schließlich ist es sein 116. Auftritt in Hamburg. Aber auch sonst glaubt man ihm alles, „da“, so meine Sitznachbarin, „ist auch viel Sinn drin, in dem was er sagt.“ Genau. Und erst in den Zetteln, die zur wohlwollenden Beachtung ausliegen. Von der „rücksichtslosen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen“ ist da die Rede, von „Schwachen, die sich nicht wehren können“. Und so bittet der gute Österreicher um „Eure Unterstützung und den Kauf einer Energiesparlampe“. Das wird helfen.

Sechzig Jahre Weisheit und geballter Charme sitzen da am Klavier und tanzen gar ab und an federleicht, nein, der Udo, der wird nicht alt. Kein Wunder bei dem Lebensmotto: „Schubidu ist kein Text, sondern ein Lebensgefühl“, so ist's recht. Aber auch – und nicht zu knapp – Gesellschaftskritik, immer schön lustig verpackt, die musikalische Katharsis läßt eine Hundertschaft von Sekretärinnen und mitgebrachten Männern wieder an das Gute im Menschen glauben, vor allem im eigenen. Und Schwächen haben wir ja alle, zwinker, zwinker.

Sie vergöttern ihn, den Mann am Klavier, der ihre Lieblingslügen schubidu vertont. Und da er diese ihm zugewiesene Rolle mit Bravour und immer noch erledigt, hält auch das Publikum sich an die rituellen Handlungen, die – auf etlichen vorhergegangenen Konzerten eingeübt – einfach dazugehören: Ständig tippeln unsicheren Schrittes mutige, kostümierte (oder: mutig kostümierte) Damen jedweder Altersklasse nach vorne, Küßchen, Blümchen und: Taschentuchklauen. Ja, Udos rotes Einstecktuch, daß er stets lächelnd immer wieder ersetzt, ziert nun ungefähr 20 Hamburger Haushalte. Denn: „In der Familie findet man all die Dinge, die man in der großen Gesellschaft auch findet.“ Und sei es nur ein Taschentuch, ein rotes.

Benjamin v. Stuckrad-Barre/Foto: JMS/Montage: taz