Faxe für das Paradies

■ Hamburgs bester Ringer Oliver Bartels und der Kampf einer Randsportart ums Überleben Von Folke Havekost

Zur Siegerehrung ertönt die Hymne des Box-Weltmeisters Henry Maske: „Conquest for Paradise“. Die Übergabe der Medaillen und Urkunden in der spärlich besetzten Sporthalle in Hinschenfelde ist vom neuen Yuppie-Glamour der Faustkämpfer allerdings weit entfernt. Geehrt werden die Hamburger Meister einer Randsportart mit Geschichte. Doch auch das geklitterte Bild des Heros aus der Antike hat mit der heutigen Situation der Hamburger Ringer nichts gemein.

„Ringen ist eine Kampfsportart, in der höchste koordinative Fähigkeiten verlangt werden“, behauptet Klaus Kolodzick, Vorsitzender und Landestrainer des Hamburger Ringerverbandes, „Ringer müssen schon Artisten sein.“ Zehn Jahre brauche es, um ein ausreichendes Repertoire an Griffen zu erlangen. Das beste Einstiegsalter liegt demnach bei etwa acht Jahren. Und das in einer bisweilen von den Athleten selbst als „unangenehm“ charakterisierten Sportart, deren marginale Medienpräsenz höchstens die nationale Top 20 vom Geldkuchen leben läßt. Kein Wunder, wenn Kolodzick über eine unbefriedigende Nachwuchssituation klagt.

Der Ringersport ist heute weitgehend auf elterliche Vermittlung angewiesen: Über den ringenden Vater selbst auf die Matte zu schreiten, um nach der aktiven Zeit als Trainer oder Kampfrichter zu fungieren – ein typischer Karriere-Weg. Kontinuierliche Schnupper-Angebote sowie Werbung im Freundes- und Bekanntenkreis tragen ihr übriges dazu bei, daß die sportliche Subkultur noch nicht gänzlich von Fitneß-Studios mit größeren individuellen Gestaltungsmöglichkeiten verdrängt werden konnte.

Einer der 480 organisierten Ringer in Hamburg ist Oliver Bartels. Wer im amtierenden norddeutschen Meister einen mit Nudeltüten und Trainingsfibeln bepackten Musterathleten erwartet, wird enttäuscht. Der 20jährige mit dem unvermeidlichen Baseball-Käppi sabotiert en passant Versuche, ihm übermäßig professionelles Engagement unterzuschieben: „Ringen ist für mich ein Hobby. Vielleicht werde ich irgendwann mal Golf spielen.“

Mit zwölf stand der angehende Abiturient vor Gewichtsproblemen und der Wahl zwischen Ringen, Judo oder Geräteturnen als Ausgleichssport. Aus „Bequemlichkeit“ habe er sich damals fürs Ringen entschieden, denn so konnte ihn – die Ahnung trügt uns nicht – der selbst ringende Vater gleich mit zum Training fahren. Reaktionen auf seine Entscheidung? „Wenn man sich mit Leuten unterhält, verwechseln die meisten Ringen mit Catchen.“

In Hamburg hat Mittelgewichtler (bis 82 Kilo) Bartels wenig Konkurrenz, in erster Linie durch Vereinskollegen des dominierenden SC Roland, der sich 1994 sportlich wie finanziell aus der 2. Bundesliga verabschieden mußte. Ambitionierte Talente aus dem hohen Norden haben nur die Chance, sich frühzeitig in die Ringer-Hochburgen Süddeutschlands abzusetzen. Doch das Geld wird auch dort knapp. Vor kurzem meldete sich der renommierte KSV Wiesental aus der Bundesliga ab. Großstadt-Anhänger Bartels hält sich eine andere Hintertür offen. Ein angebotenes Stipendium bei einer College-Mannschaft in Washington State läßt den einstigen Austauschschüler seine aufgefrischten Erfolgsbilanzen regelmäßig über den großen Teich faxen.

Doch das ist Zukunftsmusik – die Realität sieht anders aus. Gerade einmal zwei Frauen und 27 Männer treffen sich am Sonntagmorgen in Hinschenfelde, um die Hamburger Meister im freien Stil zu ermitteln. Die Bedeutung der Veranstaltung ist gering. Sportlichen Wert besitzen eher die norddeutschen Titelkämpfe am 4. Februar in Rostock. Oliver Bartels rückt eine Gewichtsklasse auf und startet im mit sechs Teilnehmern geradezu generös besetzten Halbschwergewicht (bis 90 Kilo) – in den anderen Klassen sind es meist nur zwei oder drei. Bartels hat auch mit der schwereren Konkurrenz kaum Probleme, die drei Gegner werden schnell geschultert – neues Futter fürs Fax-Gerät.

Um 12 Uhr mittags ist alles vorbei. Der SC Roland stellt sieben der neun Meister. Die Siegerehrung dauert keine fünf Minuten, dann verschwinden die Athleten unter den Duschen. Das Podest wird abgebaut, die Matten eingeräumt und weggefahren. In vier Wochen sind die Meisterschaften im griechisch-römischen Stil.