„Ziemlich flügelfreie Performance“

■ Neue Toleranz statt alter Fehden: SPD-Fraktionschef Günter Elste empfiehlt seiner Partei einen „Bewußtseinswandel“ / „Mehrheit für Räumung der Hafenstraße nicht in Sicht“

taz: Wir sind doch ziemlich erstaunt, Herr Elste ...

Elste:... warum denn das nun wieder?

Weil der vorletzte Statthalter der Wandsbek-Connection, Chef des sogenannten Mitte-Rechts-Lagers, auf einmal Linksdrall zeigt, seinen Parteivorsitzenden Jörg Kuhbier samt SPD-Selbstkritik so richtig lieb zu haben scheint und dann auch noch gemeinsam mit der taz Konsequenzen auf der Handlungsebene fordert.

Ich glaube, die taz denkt doch zu sehr in alten Mustern. Schon wenn Sie den biblischen Begriff des Statthalters gebrauchen sind Sie weit hinter der Zeit zurück. Sie reden hier mit dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bürgerschaftsfraktion – und der ist gerade nicht Statthalter irgendeines Parteiflügels.

Da ist uns bisher offenbar etwas entgangen.

Na hören Sie mal, in den vergangenen fünfeinhalb Jahren habe ich eine ziemlich flügelfreie Performance dieser Fraktion mit zustande gebracht.

Was Sie nicht davon abgehalten hat, des öfteren mal Interessenspolitik zu machen.

Ja, natürlich. Man kann doch aufgrund einer Funktion seine Meinung nicht restlos verkaufen.

Was ist denn nach Ihrer Meinung zu tun, um die SPD wieder anziehend und sympathisch zu machen, wie es Jörg Kuhbier formuliert hat?

Dazu brauchen Mitgliedschaft und Funktionäre der SPD zunächst einmal einen Bewußtseinsprozeß, um ihre eigene Position zu begreifen ...

... das hört sich nicht besonders konkret an ...

Ich bemüh' mich ja schon, es Ihnen klarzumachen. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren standen die Sozialdemokraten auf der linken Seite ganz allein, haben ihren Wettbewerb ausschließlich nach rechts geführt. Heute stehen wir zwischen Grünen und CDU im Zentrum des Parteienspektrums. Das heißt, die SPD muß sich bewußt sein, daß sie den Wettbewerb nach beiden Seiten zu führen hat. Das hat bisher noch nicht jeder Genosse verinnerlicht. Der zweite Faktor ist, daß die SPD-Mitgliedschaft sich in dieser Zeit stark gewandelt hat. Die Partei verfügt über ein viel breiteres Spektrum als in der Vergangenheit.

Nach unseren Informationen ist das entscheidende Merkmal dieser Wandlung eher die Verringerung dieser Mitgliedschaft.

Weniger Mitglieder, aber die verteilen sich auf ein breiteres Spektrum. Was dazu geführt hat, daß in der SPD in den vergangenen Jahren zu oft Formelkompromisse geschlossen wurden, um möglichst alle mit auf die Reise zu nehmen. Deswegen ist unser politisches Profil zuletzt auch immer weicher und immer konturenloser geworden .

Wem soll ein schärferes Profil denn am Ende ähnlich sehen? Eher dem Bürgermeister oder eher dem Parteivorsitzenden?

Ach, Sie machen es sich zu einfach. Ich glaube, daß die Partei das nachvollziehen muß, was die Bürgerschaftsfraktion in den vergangenen Jahren zum Teil schon geleistet hat.

Also, eher das Elste-Profil!?

Wir brauchen innerhalb unserer großen Bandbreite eine gegenseitige Toleranz für verschiedene Politik-Profile, die auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet sind, die aber – einmal beschlossen – von allen gemeinsam getragen werden müssen. Kriegt die Partei das hin, ist sie prädestiniert dafür, den gesellschaftlichen Konsens besser herstellen zu können als andere. Und dann wird sie auch wieder anziehend und sympathisch.

Gehört dazu vielleicht auch noch, Filz-Verdacht von vornherein zu vermeiden. Sagen wir zum Beispiel dadurch, daß der SPD-Fraktionsvorsitzende nicht gleichzeitig Geschäftsführer eines bedeutenden städtischen Unternehmens ist?

Es gibt zur Unvereinbarkeit von Mandat und Tätigkeit im öffentlichen Dienst eine konkrete Beschlußlage der Fraktion und auch der Partei. Diese Inkompatibilität muß nach meiner Auffassung mit Beginn der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten. Ob wir die strikte Unvereinbarkeit – die zum Beispiel auch für Lehrer gelten würde – hinbekommen, ist zweifelhaft. Die Minimallinie muß aber sein, daß erstens all diejenigen, die dem Senat unmittelbar zuarbeiten, sich zwischen Beruf und Mandat entscheiden müssen. Und dann muß man auf der Führungsebene im Öffentlichen Dienst einen Schnitt machen. Davon wäre ich auch betroffen.

Und dann wechseln Sie in den Senat?

Derzeit habe ich den Eindruck, daß die Mitglieder der SPD-Fraktion mit mir als Vorsitzendem noch ganz zufrieden sind. Allerdings ist es auch keine Schande, dem Senat anzugehören. Man kann es, muß es aber nicht.

Herr Senator in spe – wir danken ... halt. Ein Thema darf nicht fehlen. Gegen die Hafenstraße haben Sie auch schon lange nicht mehr gewettert.

Ich habe dieses Problem immer sehr differenziert dargestellt, aber aus meiner Meinung auch nie einen Hehl gemacht.

Sie wollen weiterhin räumen?

Ja. Wenn es heute zu einer Abstimmung käme, würde ich mich so verhalten. Ich räume aber ein, daß beide Positionen vertretbar sind – räumen, um Rechtsgleichheit gegenüber anderen Mietern herzustellen, nicht räumen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden oder auch, um als Großstadt Toleranz zu zeigen.

Und welche Position setzt sich durch?

Mein Eindruck ist, daß es in dieser Bürgerschaft derzeit keine Mehrheit für eine Räumung gibt.

Interview: Uli Exner