Schlüsselmomente der Gewalt

■ Das Hamburger Institut für Sozialforschung stellte sein Veranstaltungsprogramm zum Jahrestag des Kriegsendes vor

Dieses Jahr häuft bedeutende politische Gedenktage in einer Menge an, die viele unerwünschte Nebeneffekte haben könnte. Schleunige Übersättigung durch Veranstaltungs- und Artikelinflation, eitle politische Selbstdarsteller und unhistorischer Betroffenheitsschmonzes von Politikern, Künstlern und selbsternannten Geschichtskommentatoren sind mit Sicherheit zu erwarten und lassen die Befürchtung zu, daß dieses Erinnerungsjahr an das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nur zu einer weiteren Progression des Vergessens führt.

Bevor die Gockelaufmärsche in schwarz und die Schlacht der Dokumentationen beginnt, die die Geschichte als Vergangenheit verabschieden und nicht als Prozeß begreifen, erhebt das Hamburger Institut für Sozialforschung seine Stimme. Mit einem umfangreichen Programm versucht das Reemtsma-Institut noch einmal, eine historisch bewußte Reflexion der Geschichte anzustoßen, die Diskussion provoziert und nicht Erinnerung prunkvoll einsargt.

Mit der Ausstellung 200 Tage und ein Jahrhundert auf Kampnagel wird am 28. Januar die Veranstaltungsreihe eröffnet, die man gestern der Öffentlichkeit vorstellte. In einer großen Installation wird die Zeit zwischen der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar und der Kapitualtion Japans am 14. August 1945 in Schlüsselmomenten dokumentiert, die ihre Bedeutung für das ganze Jahrhundert entwickelt haben. Einzelne Kammern beschäftigen sich mit Auschwitz, den Nürnberger Prozessen, der Entkolonialisierung, der UNO, staatlichem Terror, den Gulags und Hiroshima.

In Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus wurde außerdem eine Matinee-Reihe entwickelt, in deren Verlauf verschiedene Autoren Vorträge über Gewalt und Destruktivität halten werden. Nach der Eröffnung am 5. Februar durch Jan Philipp Reemtsma werden unter anderem Jorge Semprun, Breyten Breytenbach, Agnes Heller, Aleksandar Tisma und Joseph Brodsky sprechen.

Eine weitere Ausstellung im März zu dem Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung und die Juden in Osteuropa, den die Deutsche Wehrmacht in den Jahren 1941-44 unternommen hat, die Theaterinstallation Memory Arena auf Kampnagel, eine Theaterarbeit zu dem Minsker Kriegsverbrecherprozeß 1946, Podiumsdiskussionen, Lesungen und ein Filmprogramm im Alabama vervollständigen die groß angelegte Teamarbeit. Eine ausführliche Ankündigung und Würdigung der einzelnen Veranstaltungen wird zu gegebener Zeit folgen. Till Briegleb