Kein Entkommen

■ Kammerspiele: Fritz Muliar spielt „Sibirien“

„Liebe Senioren,“ stößt der alte Mann höhnisch aus, „zum Kotzen!“ Da steht ein Bett mit heruntergelassenen Seitengittern auf der Bühne der Kammerspiele. Fritz Muliar (75) – jener brave Soldat Schwejk, der der Figur von Jaroslav Hasek seine endgültige Physiognomie gab – schleppt sich in Morgenmantel und Filzpantoffeln auf Krücken um Bett und Nachttisch, zum zweiten Mal im Leben nach Sibirien deportiert.

Das erste Mal als Kriegsgefangener, nun ins Heim, vom Sohn herausgeworfen aus der Wohnung! Unverschämtheit! Da wird er doch die „Zwangsräumung“ erwirken, die Familie rausschmeißen, sein Lebenswerk zurückbekommen! Er will sich noch wehren. Noch.

Doch aus dieser Station der „letzten Hilfe und Pflege = ins Bett zwingen“ gibt es kein Entkommen. Der Mann redet um sein Leben, was ihm immer schwerer wird und niemand hört. Er imaginiert seine Gegenüber, am Ende dankt der einstige „Querulant und Choleriker“ schwer röchelnd dem Bundespräsidenten für den netten Besuch in der Endstation.

Auf dem Abstellflur ist alles käuflich. Zu Anfang des gut einstündigen Bühnentodes ist das Losungswort für ein Sparkassenbuch noch sein letztes Unterpfand der Freiheit. In den durch Mißachtung und Entmündigung vorangetriebenen Verfall, in die Endgültigkeit des Heimaufenthaltes setzt Muliar als trotziger alter Mann sogar noch Momente der Komik. Vielleicht wäre der Abend sonst auch nicht auszuhalten.

In eigener Regie gibt der Wiener Kammerschauspieler den Monolog Sibirien des Tirolers Felix Mitterer. Mit einer erbarmungslosen Genauigkeit demonstriert Muliar die Details des Alterns: Erst an Krücken, dann am Gehgerüst, zuletzt in Windeln. „Entsorgungstechnisch“ einwandfrei und nicht von Mitgefühl begleitet verrinnt seine letzte Zeit. Mit dem Erkennen der Ausweglosigkeit wachsen Demut und Todessehnsucht. Das Warten wird ihm lang, er schleudert noch ein letztes sarkastisches Kaspar-Witzchen dem nahenden Sensenmann ins Gesicht.

Die letzte Hilfe wird unterlassen. Unproduktiv, ausrangiert, gehunfähig, vergessen und verwahrt bis zum Exitus. Alles ist durchorganisiert, fern des Lebens und kälter als in Sibirien.

Muliar zehrt mit naturalistischem Röcheln und Rülpsen ein Tabu, einen Hauch des ganz normalen Todes auf die Bühne. Dazu braucht er nur eine einfachste Ausstattung (Maxi Tschunko) vor weißem Tuch und seine Kunst, das Ende eines Menschenlebens sichtbar zu machen.

Petra Möbel

Nächste Vorstellungen: 7. bis 12. Februar, Kammerspiele, 20 Uhr, am 12. Februar um 18 Uhr