Stadt als illegaler Arbeitgeber

■ Wie ein Bremer Biologe mit türkischem Paß zwischen Ausländeramt, Arbeitsamt und Universität zerrieben wird

„Ich sehe schon aus wie ein Anwalt.“ Refik Gültekin wuchtet einen dicken Aktenordner in seine Tasche und legt die Stirn in Sorgefalten. Dazu hat er auch allen Grund. Seine Doktorarbeit in Biologie ist halb fertig – aber weiterschreiben kann er nicht, weil er kein Geld hat. Er war vier Jahre bei der Freien Hansestadt Bremen beschäftigt, hat Steuern bezahlt und Sozialversicherungsbeiträge – aber Arbeitslosengeld bekommt er nicht. Er will arbeiten – aber arbeiten darf er nicht. Er hat eigentlich alle Chancen, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen – aber die kriegt er nicht. Im Gegenteil, jetzt hat er auch noch eine Anzeige wegen angeblicher illegaler Beschäftigung am Hals. Und der illegale Arbeitgeber heißt, siehe oben, Freie Hansestadt Bremen. Eigentlich müßte er ausreisen, meint die Ausländerbehörde. Refik Gültekin, der klassische Fall von einem, der in die Mühlen der Verwaltung geraten ist.

Gültekin kam Anfang der 80er Jahre aus der Türkei nach Bremen, lernte Deutsch, begann Biologie zu studieren, 1991 wurde er Diplom-Biologe, dann startete er seine Promotion. Und er hatte Glück. 1992 bekam er eine halbe Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bio-Fachbereich. Eine normale Karriere, normale Aufenthaltserlaubnis, normale Arbeitserlaubnis, ein Arbeitgeber, wie man ihn sich nicht normaler vorstellen könnte. Im Paß hatte die Ausländerbehörde zur Arbeitserlaubnis vermerkt: „Nur gültig als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Biologie an der Uni Bremen“. Gültekin hatte den Paß vorgelegt und einen Arbeitsvertrag bekommen.

Die erste Irritation kam nach einem Jahr Arbeit. Da flatterte Gültekin ein Brief des Arbeitsamtes ins Haus: Er arbeite ohne Arbeitserlaubnis, stand da. Das könnte für ihn 1.000 Mark Strafe bedeuten, stand da, und für den Arbeitgeber 50.000 Mark. Aufgeregt ging der Doktorand zu seinem Personal-Sachbearbeiter, aber der konnte ihn beruhigen. Ein Rundbrief sei das, meinte der Fachmann. Er werde das regeln. „Und er hat das geregelt“, erzählt Gültekin. Schließlich, das erfuhr er bei der Gelegenheit, brauchen Wissenschaftliche Mitarbeiter gar keine Arbeitserlaubnis. Das Arbeitsamt hakte nicht weiter nach.

Doch das zweite Drama ließ nicht lange auf sich warten. Als Gültekin im Jahr darauf seine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beim Ausländeramt verlängern lassen wollte, da zückte der zuständige Beamte plötzlich einen ganz anderen Stempel. „Arbeit in den Semesterferien gestattet“, stand nun im Paß, und der handschriftliche Zusatz: „Ausnahme: Wissenschaftlicher Mitarbeiter für maximal 6-8 Wochenstunden.“ Das wollte nun so gar nicht zu seinem Arbeitsvertrag passen, und der lief noch ein Jahr. Gültekin diskutierte und argumentierte: „Wovon hätte ich leben sollen?“ Aber der Beamte ließ sich nicht erweichen, und Gültekin ließ die Sache auf sich beruhen. Denn erstens hatte er gelernt, daß man als Wissenschaftlicher Mitarbeiter keine Arbeitserlaubnis braucht, schließlich kannte er Diplomstudenten, die 16 Stunden arbeiten durften, warum sollte er als Doktorand da schlechter gestellt sein? Und zweitens hatte er ja einen Arbeitgeber, bei dem er sich felsenfest darauf verlassen konnte, daß der nach dem Buchstaben des Gesetzes handelt.

Ein schwerer Fehler. Doch bis der sich herausstellte, vergingen zwei weitere Jahre. Inzwischen war sein Dreijahresvertrag abgelaufen, die Uni hatte – Eintrag im Paß hin oder her – den Vertrag noch einmal um ein Jahr verlängert. Ende Februar diesen Jahres war dann endgültig Schluß. Also ging Gültekin zum Arbeitsamt. Da kam der erste Schock. Er habe zwar vier Jahre lang Steuern und Abgaben bezahlt, aber wegen des Eintrages im Paß stünde er nicht dem Arbeitsmarkt zu Verfügung, wurde ihm beschieden. Und wer dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, der kriegt auch kein Arbeitslosengeld.

Parallel dazu beantragte Gültekin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Schließlich hatte inzwischen der Europäische Gerichtshof ein vielbeachtetes Urteil über das Aufenthaltsrecht in der EU arbeitender Türken gesprochen: Nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung müssen sie wie EU-Bürger behandelt werden. Das heißt, sie sind völlig frei in der Arbeitsplatzwahl.

Das stört das Bremer Ausländeramt wenig. Ende Februar kam der erste Ablehnungsbescheid. Tenor: politische Richtlinien gehen vor europäisches Recht. Gültekins Aufenthalt habe einem begrenzten Zweck gedient, nämlich dem des Studiums. „Der deutsche Staat wendet erhebliche öffentliche Mittel für ausländische Studenten aus Entwicklungsländern auf“, wurde ihm mitgeteilt. „Deshalb hat die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, daß Sie die erworbenen Kenntnisse in Ihrem Herkunftsstaat weitergeben. Wenn dieses nicht gewährleistet ist, muß deutsche Entwicklungspolitik neu überdacht werden.“ Ende März hat Gültekin schließlich die endgültige Ablehnung seines Antrages bekommen. Und obendrein hat ihm das Ausländeramt ein Strafverfahren an den Hals gehängt: Daß er trotz des Eintrags im Paß gearbeitet habe, das sei illegal gewesen. Nun müßte also auch der illegale Arbeitgeber dran sein, die Freie Hansestadt Bremen.

„Ich sehe schon aus wie ein Anwalt“, seufzt Gültekin. Nun hat er sich endlich auch einen genommen, und der ist guter Dinge, am Ende doch noch zu obsiegen. Bleibt nur das Problem, wie Gültekin den Rechtsbeistand bezahlen soll, von seinem eigenen Lebensunterhalt ganz zu schweigen. „Ich habe jetzt noch Geld für vielleicht zwei Wochen. Danach weiß ich nicht, wovon ich leben soll. Aber ich bin ja ein Lebenskünstler.“ J.G.