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Einigkeit und Herrlichkeit

■ In Planung: Eine große Ausstellung zum Thema "Die Olympischen Spiele 1936 und der Nationalsozialismus" von der Stiftung "Topographie des Terrors" ab Mai in der ehemaligen Kunsthalle

Dem jüdischen Literaturwissenschaftler Victor Klemperer waren die Olympischen Spiele von 1936 „verhaßt“, weil sie „ganz und gar ein politisches Unternehmen“ gewesen seien: „Immerfort wird dem Volk und den Fremden eingetrichtert, daß man hier den Aufschwung, die Blüte, den neuen Geist, die Einigkeit, Festigkeit und Herrlichkeit, natürlich auch den friedlichen, die ganze Welt liebevoll umfassenden Geist des Dritten Reiches sehe.“ So notierte Klemperer, der die Naziherrschaft nur knapp überlebte, am 13. August 1936 in seinem Tagebuch.

Tatsächlich war die Nazipropaganda so effektiv, daß bis heute das Bild eines friedvollen Sportfestes durch die kollektive Erinnerung an Olympia 1936 geistert, besonders in Kreisen des Sports. Immer wieder aufbereitet wird die Legende, der Sport sei damals „mißbraucht“ worden – dabei hatte das IOC gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht. Olympia 1936 war keine Insel der Seligen im Meer des Bösen.

Zu dem von dem AL-Politiker Hans-Jürgen Kuhn geplanten großen wissenschaftlichen Kongreß zum Thema 1936 kam es nicht. Statt dessen ließ die Olympia GmbH die Herren vom IOC vor dem Pergamonaltar dinieren – ganz genauso wie damals bei den Nazis. Und der Chef der Olympia GmbH, Axel Nawrocki, schwärmte von „phantastischen Negerchören“, die die Spiele des Jahres 2000 eröffnen sollten.

Ein einziges Zugeständnis an die Geschichte aber machte die Olympia GmbH. Sie gab bei der Stiftung Topographie des Terrors eine historische Ausstellung über Olympia 1936 in Auftrag.

Vom 24. Mai bis 18. August wird die Ausstellung „1936: Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus“ in der ehemaligen Kunsthalle an der Budapester Straße zu sehen sein. Finanziert wird sie allein von der Stiftung Topographie des Terrors und ist so auch vom Ruch befreit, ein übriggebliebenes „Feigenblatt“ des Kommerzspektakels Olympia 2000 zu sein. Weder das Nationale Olympische Komitee noch andere Sportbehörden sind Mitveranstalter.

Sechzig Jahre nach der Nazi- Olympiade und zum 100. Jubiläum der Spiele der Neuzeit haben die Berliner Wissenschaftler soviel historisches Material zusammengetragen wie noch nie.

Weltweit sei in rund 150 Archiven nach Dokumenten und Fotos recherchiert worden, so Marcus Funck, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ausstellung: „Die bislang kompletteste Materialsammlung zu diesem Thema.“

Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist die Widerlegung der Legende, daß es während der Spiele ein „Verfolgsungspause“ der Nazis gegeben habe. 1936 seien bloß antisemitische Schilder und Stürmer- Kästen für kurze Zeit abgehängt worden, die Verfolgungsmaßnahmen aber wurden nicht zurückgenommen, so Funck.

In Berlin ansässige Roma und Sinti wurden damals registriert und im dafür errichteten Lager Marzahn von „Rassekundlern“ vermessen. Funck: „Das waren erste Vorarbeiten für die spätere Vernichtungspolitik.“ Bei Oranienburg wurde im Sommer 1936 das Konzentrationslager Sachsenhausen gebaut; anhand einer „Verbrecher- und Bettlerkartei“ wurden zwei Wochen vor Beginn der Spiele neben den Roma und Sinti auch weitere unerwünschte Personengruppen aus dem Stadtbild eliminiert.

Doch die Ausstellung beschränkt sich keineswegs auf Berlin und Deutschland. Sie befaßt sich auch ausführlich mit dem IOC. Dieses neigte in den dreißiger Jahren mehrheitlich zum Antisemitismus, malte die rote Gefahr an die Wand und betrieb eine nazifreundliche Politik, die nur als bewußte Zusammenarbeit bezeichnet werden kann. Das IOC stellte die damalige Boykottbewegung kalt und wurde deshalb nach den Spielen gleich ganz unter deutsche Regie gestellt.

Weitere Schwerpunktthemen des Projekts: Rezeption und personelle Kontinuitäten. Die Spiele von 1936 wurden dank des Films von Leni Riefenstahl und ihres Auftraggebers Joseph Goebbels zu den ersten wirklichen „Medien- Spielen“. So wie Riefenstahls Olympiafilme noch Jahrzehnte die Cineasten begeisterten, wurden auch die Olympia-Organisatoren in Ehren gehalten. Sportfunktionäre wie Carl Diem, Karl Ritter von Halt und Avery Brundage konnten ihre Karriere fast bruchlos fortsetzten.

Mit den Spielen von 1936 schufen die Nazis, die bereits die Kriegsvorbereitungen begonnen hatten, eine schöne Fassade für das neue Deutschland. Wer alles nicht so genau wissen wollte, konnte sich beruhigt fühlen. Victor Klemperer aber notierte damals in seinem Tagebuch: „Die Olympiade geht nächsten Sonntag zu Ende, der Parteitag der NSDAP kündigt sich an, eine Explosion steht vor der Tür, und es ist natürlich, daß man sich zuerst gegen die Juden abreagieren wird.“ Philip Kahle

„Die Olympischen Spiele 1936 und der Nationalsozialismus“, ab 24. Mai in der ehemaligen Kunsthalle, Budapester Straße. Ein 240seitiger Katalog (deutsch-englisch) wird erscheinen; Beiprogramm mit Filmen, Diskussionen und Vorträgen von Sporthistorikern.

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