Alt-68er feiern gegen Unikälte

An Universitäten werden die einst verhaßten Immatrikulations- und Abschlußfeiern wieder beliebt. Die Revoluzzer von damals feiern mit – mit Amtskette  ■ Von Torsten Teichmann

Es mute ihn schon komisch an, auf einer Feier zu sprechen, gegen die er vor dreißig Jahren gewettert hätte. So beschrieb der Vizepräsident der Freien Universität (FU) und Alt-68er Werner Väth auf einer Abschlußfeier im Otto-Suhr- Institut (OSI) seine Befindlichkeit. Seit gut zwei Jahren wird den Politologen wieder bei Sekt, Klavierklängen und einigen Rednern das Diplom vom Dekan überreicht.

Solche Feiern liegen bei Studenten im Trend. In vielen Fachbereichen und Instituten der drei Berliner Universitäten wird ernsthaft überlegt, ob man zum Studienstart und Diplomabschluß wieder offizielle Feste ausrichtet. Förmlichkeiten, gegen die 1968 Werner Väth und andere Professoren gekämpft haben, werden anscheinend wieder gebraucht.

Gesine Schwan hat im Frühjahr vor zwei Jahren die erste Feier organisiert. Ihr Selbstverständnis als Mitglied der 68er Generation hat sich damit nicht geändert. „Ich war ja damals schon Reformistin“, erklärt sie, und somit rechts für bewegte Studenten. Heute seien die Studis von hohlen Feierstunden nicht mehr so geschädigt wie sie vor 27 Jahren.

Und „wir wollen ja nicht die alten Zöpfe mit Talaren und Ordinarien wiederhaben“, klärt der FU- Vize aus Dahlem auf. Aber die Studenten „schätzen es, daß sich jemand um sie kümmert“, jemand, der ihnen helfe, sich im Gestrüpp der Massenuni zurechtzufinden. Er selbst habe sich vor zwei Jahren mit seiner „linken Hälfte“ an den Gedanken an eine Feier erst gewöhnen müssen. Zu tief saß die Erinnerung an den Rektor im Talar, der bei der feierlichen Übergabe des Diploms von der gekürten Elite und deren Pflichten sprach.

Auch die ehemals studentenbewegte Lehrbeauftragte Claudia von Braunmühl hat den Wunsch der Studenten nach neuen alten Riten beobachtet. Als ihr vor drei Jahren beim Abschluß eines Kurses die Studis feierlich ein episches Gedicht bei Kerzenschein und selbstgebackenen Keksen überreichten, seien ihr sogar Tränen gekommen. „Mit den Studetenunruhen sind Umgangsformen verfallen“, sagt sie, „aber es ist auch nichts Neues entstanden.“ Die Sehnsucht nach Ritualen stamme vom Willen, die „Unikälte zu überwinden“. Auch an der Technischen Universität (TU) überlegt die Leitung, eine Immatrikulationsfeier einzuführen. Die Studenten sollten sich heimisch fühlen. Das sei für den Zusammenhalt der Universität wichtig, erklärt Pressesprecherin Kristina Zerges.

Dabei sind Feste wie das am OSI keineswegs unumstritten. Für den Germanisten Gerhard Bauer, ein hagerer Mann von 60 Jahren, sind diese Feiern kein wirkungsvoller Ersatz für fehlende Menschlichkeit an der Massenuniversität. Ende der Sechziger war er engagierter Dozent an der FU. Heute plant auch die Dekanin seines Institus eine Abschlußfeier.

Ralf Priebs, Professor für Luft und Raumfahrt an der TU, bringt es auf den Punkt: Eine Massenuni bleibe eine Massenuni, da „kann eine administrative Feier nur einen Scheinhalt geben“. Zusammenhalt entsteht seiner Meinung nach im Überschaubaren Rahmen von Fachbereichen und Instituten.

Am Anfang eines Studentenlebens steht bei den Germanisten der FU eine „Massentaufe“, in der die Erstsemester in den Unibetrieb eingeführt werden – eine Pflichtveranstaltung. 1968 hätte er solche Veranstaltungen abgelehnt, erklärt Bauer, aber damals „wußten die Studenten auch, was ihnen die Universitäten ansonsten zu bieten haben“. Heute würden sie fragen: „Was sollen wir hier?“

Nach einem handfesten Generationenkonflikt sieht es aus, wenn Professor Bauer erzählt, die Studenten hätten früher die Welt ändern wollen. Heute zähle für sie nur noch ein bescheidener Platz auf der Erde, den sie einnehmen können. Und FU-Vize Väth ergänzt, daß ihm das Du mit Studenten in seinem Alter immmer schwerer falle. Die Anrede, als Zeichen des gleichberechtigten sozialen Raums Universität 1968 eingeführt, ist gescheitert, wie das Wir-Gefühl von Student und Professor an Berlins Universitäten. Nun wird für den sozialen Zusammenhalt gefeiert.

An der Humbold-Universität (HUB) haben große Immatrikulationsfeiern Tradition. Zwar wurde mit der dritten Hochschulreform 1968 der Talar auch im Osten endgültig abgeschafft, doch die großen Feste im alten Friedrichstadtpalast oder im Palast der Republik blieben.

Heute finden die Auftaktveranstaltungen mit Rednern wie Exbundespräsident Richard von Weizsäcker oder Jutta Limbach, der Präsidentin der Bundesverfassungsgerichts, im Audimax statt. Nur über die Kleiderordnung ist man sich noch nicht so richtig klar: Im vergangenen Jahr ist Alt-68erin und HUB-Präsidentin Marlis Dürrkopp mit Amtskette aufgetreten. Die alten Talare hängen im Haus unter den Linden noch im Schrank.