■ Tarifvertrag in der Bauwirtschaft: Wirkungsloses Ritual
Bald gehören die liebgewonnenen Tarifverträge der Vergangenheit an. Zwar ist heute an der Oberfläche noch alles in Ordnung – die Gewohnheit siegt, und die neue Lohnvereinbarung der bundesdeutschen Bauwirtschaft wird gegen den Widerstand der Berliner und Brandenburger Betriebe beschlossen. Doch die Wirklichkeit hat längst begonnen den Beton zu unterspülen.
Rund 60 Prozent der mittelständischen Baubetriebe zahlen bereits heute keine Tariflöhne mehr – trotz Vertrags. Vielleicht setzen die Arbeitgeber diese Zahl zu hoch an, weil sie die Lohnforderung der Gewerkschaft drücken wollen. Und einige schwarze Unternehmerschafe bezahlen ihren Arbeitern aus Profitgier weniger Geld, obwohl die Konten überquellen. Unter dem Strich bleibt aber, daß vermutlich die Hälfte der ostdeutschen Betriebe sich Tariflöhne schlicht nicht leisten können. Würden sie die vereinbarten Summen zahlen, müßten sie direkt zum Konkursrichter gehen. Arbeitgeber und Gewerkschaften können angesichts dieser Situation vereinbaren, was sie wollen. Der Nutzen ist gering. Denn die internationale Bauwirtschaft untergräbt die bislang übliche soziale Absicherung. Bauarbeiter aus West- und Osteuropa kommen nach Berlin, arbeiten für lächerliche Löhne und drücken die Preise. Hiesige Unternehmen können sich diesem Druck kaum entziehen. Einen Ausweg aus dem Dilemma des anarchischen Marktes und ungehemmten Wettbewerbs haben die Gewerkschaften bis heute nicht gefunden. Dadurch, daß sie am Tarifritual festhalten, werden sie nicht verhindern, daß immer mehr Betriebe die Vereinbarungen unterlaufen und aus den Tariforganisationen aussteigen. Hannes Koch
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