"Es muß nicht alles glänzen"

■ Beim Volleyballklub CJD Berlin weht noch der gute, alte Geist des Sozialismus

Berlin (taz) – Auf beiden Seiten der Straße erheben sich schmutziggraue Plattenbauten, die einem das Gefühl vermitteln, von Betonmassen erdrückt zu werden. Routiniert und gelangweilt beschreibt der Hausmeister den Weg durch den dunklen Gang, der noch immer vom unvergleichlichen Geruch des Sozialismus vollgesogen ist: „Geradeaus, an den Boxern vorbei, nächste Tür links, Halle IV.“ Durch die grüne Tür dringt das Geräusch von Bällen, die unaufhörlich auf dem Parkett aufspringen. Seit über 20 Jahren.

Zahlreiche Generationen der begabtesten Volleyballkünstlerinnen Berlins schwitzten in der Halle IV des Sportforum Hohenschönhausen schon ihre Trikots naß. Ihren Vereinsnamen mußten sie seit 1989 aus finanztechnischen Gründen zweimal wechseln, aus dem SC Dynamo Berlin wurde der SC Berlin und schließlich das CJD (Christliches Jugenddorf) Berlin. Und statt der blauen Jerseys mit Hammer und Zirkel und den Germina-Schuhen schmückt die Athletinnen inzwischen eine bunte Auswahl von Produkten verschiedener Sportartikelfirmen. Ansonsten hat sich hier nicht viel geändert seit der politischen Wende, ein Zustand, der Volker Spiegel, seit elf Jahren Vorturner im Dienste der Berlinerinnen, nicht sonderlich aufs Gemüt schlägt. „Es muß nicht immer alles glänzen und verchromt sein“, befindet er und läßt seinen Blick durch die marode Halle schweifen. „Man muß auch mal richtig im Dreck wühlen können.“ Bisher gab ihm der sportliche Erfolg recht.

Zu Zeiten der DDR hamsterten die Berlinerinnen 20 nationale Titel, angeführt vom heutigen Bundestrainer Siegfried Köhler. Spiegel, jahrelang Köhlers Zögling, rutschte nach dessen Abwanderung gen Westen auf den Chefsessel und erstritt sich in dieser Position neben mehreren nationalen Pokal- und Meistertiteln noch den Europapokal der Pokalsieger.

Auch in diesem Jahr baggerte sich seine Mannschaft wieder ins Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft. Zwar gab es in der ersten Begegnung (Modus „best of three“) gegen den VC Schwerte eine deutliche 0:3-Schlappe, aber daß bei den Gegnerinnen „die Geilheit da sein wird, wenn sie merken, daß sie uns schlagen können“, war klar. „Doch“, sagt Spiegel und verfällt dabei in den alten Kaderschmiedenjargon, bisher habe er sich „auf den Einsatz und die Moral meiner Truppe verlassen können.“ Viel Zeit, dies unter Beweis zu stellen, bleibt seinen Schützlingen nicht mehr. Wenn sie heute in gewohnter Umgebung gegen Schwerte verlieren, haben sie das große Finale gegen den Sieger der Partie USC Münster gegen Schweriner SC verpaßt. Aber wichtig ist nur, daß am Ende eine „reproduzierbare Endleistung“ rauskommt. Was immer das bedeuten mag.

Selbstgefällig sitzt Volker Spiegel auf der hölzernen Bank in der Sporthalle und versucht freundlich, aber bestimmt, alle heiklen Themen zu umkurven. Lieber redet er von seiner beispiellosen Karriere. Nach der Wende wurde er mit 27 Jahren Nationaltrainer der nur noch kurz bestehenden DDR- Mannschaft. Heute, mit 33 Jahren, hat er so ziemlich alles gewonnen, was man mit einer Vereinsmannschaft gewinnen kann. Zahlreiche Angebote aus dem In- und Ausland flattern ihm ins Haus. Doch der schmächtige Trainer bleibt Berlin zumindest bis kurz vor die Jahrtausendwende treu.

Nostalgie? Nein, hier habe er einfach die besten Bedingungen. Jeden Tag wird trainiert, zweimal bittet er die Pritscherinnen gleich doppelt an die weiße Kugel. Durch das neugegründete Internat, strukturiert nach dem altem DDR-Typus, bemüht sich der Verein sichtlich darum, junge, talentierte Spielerinnen an die europäische Spitze heranzuführen. „Als einzigartiges Vorbild deutscher Sporteinheit“ preist Spiegel seinen Verein an. Doch die Ausbeute ist bisher gering. Mit Maike Arlt und Grit Naumann ackern in seiner Stammformation zwei Volleyball-Legenden, die seit Jahren immer wieder zum Mitturnen überredet werden, obwohl sie sich lieber ihrem Nachwuchs widmen würden. Auch Constance Radfans und Janete Strazdinas Fähigkeiten stammen noch aus der Zeit der sozialistischen Talentzüchter.

Sicher, die ein oder andere aufstrebende Spielerin hat er schon an höhere Aufgaben heranführen können, doch die Spitzenleute aus den eigenen Reihen zu ersetzen, weiß auch Spiegel, wird kaum möglich sein. Zumal der Erfolg schon jetzt ausbleibt, der finanzstarke USC Münster ihm mit einer zusammengekauften Übermannschaft in diesem Jahr auf allen Festen den Champagner wegtrinkt. Was tun? Am alten Konzept festhalten und dafür die „reproduzierbare Endleistung“ gefährden? Oder doch auf dem freien Markt mitbieten, wozu dem Verein allerdings die nötigen Mittel fehlen?

Vielleicht wechselt Volker Spiegel ja irgendwann in ein ganz anderes Lager und hält seinen „riesigen Erfahrungsschatz in einem Buch fest“. Oder er folgt doch dem Ruf zu einem der lukrativen Arbeitgeber. Denn ein bißchen was hat sich ja doch verändert. Früher reiste der Übungsleiter immer mit der klapprigen Straßenbahn zum Training in Hohenschönhausen an. Heute fährt er in einem glänzenden Auto vor. Nina Klöckner