"Arbeiten im Paradies"

■ Maxim Biller, bis vorgestern meistgehaßter Kolumnist bei "Tempo", über "Bravo", das Spiel gegen den "Zeitgeist" und den plötzlichen Tod des Magazins

taz: „Die einzig gesunde Weltsicht ist die des Zynikers“, haben Sie mal geschrieben. Was sagt der Zyniker Maxim Biller zum „Tempo“-Tod?

Maxim Biller: Es wäre das Allerschlimmste, Tempo im nachhinein erstens zu idealisieren, zweitens sentimental zu werden, und drittens sollte man Tempo sofort idealisieren und sentimental werden. Neben der taz war Tempo die letzte Zeitschrift, in der die Leute schreiben konnten, wovon sie glaubten, daß es richtig ist. Tempo hat nie den Geist verloren, den es von seinem Gründer Markus Peichl eingepflanzt bekommen hat: daß alles geht, was interessant und nicht ideologisch ist.

Was hat Ihnen „Tempo“ bedeutet?

Daß ich denselben Weg gegangen bin wie meine Generation – und das Arbeiten im Paradies. Es gab keine inhaltlichen Zwänge.

„Bravo“ wird im August 40, „Tempo“ nach zehn Jahren schon eingestellt. Was hat „Tempo“ falsch gemacht?

Eine saublöde Frage! Als würde ich die taz mit der Jungen Freiheit vergleichen. Tempo hat die Wahrheit geschrieben, Bravo lügt seit 40 Jahren.

Früher machte „Tempo“ einen reportagelastigen „Stern“ für Jungleser: „Die FDP – Das politische Rätsel“ oder „Honeckers Türken – Vietnamesen in der DDR“. Zuletzt servierte es einen spätpubertären Gazetteneintopf: „Macht Porschefahren mutig?“ „Wie wichtig ist der Penis?“ Fühlten Sie sich da noch gut aufgehoben?

Jeder Chefredakteur, der abhängig ist von einer Geschäftsführung, spürt immer den Auflagendruck. Der ist aber das Blödeste, was es gibt. Er führt nur dazu, daß überhaupt nichts Gutes mehr gemacht wird. Ich kann da nur wie ein Großmütterchen sagen: Auf Dauer setzt sich nur das Gute wirklich durch.

Diese Omiweisheit nützt „Tempo“ nun aber nichts mehr.

Man hätte Tempo mehr Zeit lassen müssen – und zwar von Anfang an. Es wurde Tempo von Anfang an zuviel Streß gemacht. Man hätte Tempo immer wieder die Gelegenheit geben sollen, sich zu entwickeln. Der große Traum war: Eines Tages erscheint Tempo wöchentlich als Spiegel für junge Leute. Unterwegs mußte man Konzessionen an die Auflage machen, die aber nur kurzfristig funktionieren konnten. Um es aber allgemeiner zu sagen: Eigentlich soll eine Zeitung nicht so werden wie der Leser, sondern der Leser wie seine Zeitung. Der Leser soll die Abenteuer, die in seinem langweiligen Leben nicht vorhanden sind, wiederfinden in seiner Zeitung. Man gibt den Lesern bei uns aber immer seltener die Chance, sich nach etwas Verrücktem auszustrecken.

Der Zeitgeist in den 80er Jahren hat „Tempo“ groß gemacht. Heute ist „Zeitgeist“ ein schmutziges Wort. Wurde „Tempo“ nicht eher ein Opfer von Geschwindigkeitsüberschreitung?

Schon in seiner zweiten Ausgabe hat sich Tempo vom Zeitgeist distanziert, und ich habe in der ersten Kolumne im Januar 1986 gegen Hippness geschrieben. Es war immer ein Spiel dagegen. Zeitgeist war Coupé, ist Max. Man hätte durchhalten müssen. Tempo hat in vielen Bereichen revolutionär gewirkt – im Meinungs-, Film- und Reportagejournalismus. Nur hat Tempo davon auf lange Sicht nichts gehabt.

Was wäre das Thema Ihrer nächsten Kolumne gewesen?

Ob die Deutschen wirklich ein Holocaust-Denkmal brauchen – oder nicht doch eher ein Denkmal des trauernden Nachkriegsdeutschen.

Im letzten „Tempo“ fordert eine Leserin: „Wann schmeißt ihr diesen vernagelten Besserwisser endlich aus dem Heft?“ Wie fühlten Sie sich, jeden Monat die Sau sein zu müssen?

Ich habe, bei aller Unerbittlichkeit, immer argumentiert – im Gegensatz zu meinen Feinden. Alle, die gegen mich waren und sind, haben aber nur geschimpft und sind so in die Haßfalle getappt. Sie haben sich nie mit meinen schein- apodiktischen Positionen auseinandergesetzt. Entweder wollen die Deutschen einen Befehl oder in Ruhe gelassen werden. Wenn einer eine feste Position bezieht, glauben sie: Oh Gott, ein Befehl! Und da sie im Moment so antiautoritär mülltrennermäßig drauf sind, finden sie so was blöd.

Der Jahreszeiten-Verlag bietet den „Tempo“-Abonnenten zum Trost den „Prinz“ an. Würden Sie auch für „Prinz“ hassen?

Ich hasse immer nur für mich selbst.

„Ich bin gar nichts“, haben Sie im vorletzten Heft geschrieben, „ich bin nur der Kolumnenbiller.“ Die Kolumne ist weg, geben Sie sich jetzt die Kugel?

Ich würde gerne weiter Kolumnen schreiben, weil ich damit verwachsen bin. Nur wie und was und wo, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Im Moment laufe ich sentimental durch meine Wohnung. Was mich jetzt reizen würde: bei einer Zeitschrift arbeiten, die einfach erwachsener ist als Tempo. Interview: Thorsten Schmitz