Ein ungemein entspannter Killer

■ Ein orientalischer Raskolnikow – ein Kriminalroman von Albert Cossery, dem ägyptischen Dandy-Schriftsteller in Paris

Ein scheinbar motivloser Mord gleich zu Beginn, ein Mörder voller nihilistischer Weltverachtung – der heute 83jährige französische Schriftsteller Albert Cossery benutzt in seinem Krimi „Gohar der Bettler“ diese auf Dostojewskis „Schuld und Sühne“ zurückgehende Ausgangssituation für eine ägyptische Raskolnikow-Travestie. Sein Mörder ist ein orientalisch langmütiger Stoiker, der Kommissar ein Vertreter westlicher Moderne, der angesichts des Mordes an einer jungen Prostituierten zuerst etwas müde in die See detektivischer Aufklärung sticht, dann aber in Wallung gerät, um am Ende zu stranden, als liefe ein schwerfälliger europäischer Tanker auf eine Sandbank im Roten Meer. Der Stoizismus des Mörders hat den Aufklärungsoptimismus des Fahnders zermürbt.

Albert Cossery, in Kairo geboren, lebt seit 1945 in einem kleinen Pariser Hotelzimmer in Saint-Germain-des-Prés. Dort schrieb er auch „Gohar der Bettler“, einen von bislang sieben Romanen. Cossery, der Ägypter in Paris, der fast ausschließlich Geschichten aus seinem zurückliegenden Leben im Nahen Osten zu Papier bringt, wird sowohl in seiner Heimat als auch in Frankreich viel gelesen.

Der Held von „Gohar der Bettler“ war Geschichtsprofessor, bevor er zu der Überzeugung gelangte, Ungerechtigkeit und Unterdrückung könne man nur mit Schweigen begegnen. Sein Credo: „Ich verweigere ganz einfach die Mitarbeit an diesem ungeheuren Schwindel.“ Mit Lethargie hat das nichts zu tun, dazu ist er geistig zu beweglich. Warum er die junge Prostituierte in jenem Etablissement erwürgt, wo er als geachteter Alltagsphilosoph, Konsument von Haschischkügelchen und begnadeter Geschichtenerzähler kleinere Schreibdienste verrichtet, bleibt rätselhaft.

Anders als Raskolnikow stand er nicht unter dem Druck, seine Freiheit durch einen Akt der Überschreitung beweisen zu müssen. Und er wird im nachhinein auch nicht von Zweifeln geplagt, so daß Cossery es sich erlauben kann, ihn nach der Tat zuerst einmal in der Versenkung verschwinden zu lassen. Eine raffinierte Dramaturgie unter Aussparung der Hauptfigur setzt ein, begrenzt auf wenige Schauplätze: ein Café im Europäerviertel, angrenzende Gassen und schmuddlige Geschäfte, in denen der schwule Kommissar Nour El Dine einen schönen Jüngling verführen will.

Imponierend dabei Cosserys Fähigkeit, mit wenigen Strichen skurrile Typen und Situationen zu zeichnen. Zum Dreigestirn vagabundierender Gassenphilosophen gehören neben Gohar der Salonsozialist El Kordi und der Haschischhändler Yghen, der eine Atmosphäre frivoler Unbekümmertheit verbreitet. El Kordi dagegen hat schon erste westliche Krankheitskeime im Denken und kann es nicht dabei bewenden lassen, im Ministerium, wo er immerhin noch als Schreiber angestellt ist, einfach nichts zu tun. Er kompensiert sein Nichtstun mit sozialistisch angehauchten Helferphantasien. Den Armen, Kranken und Ausgebeuteten will er zur Seite stehen, ob die das wollen oder nicht. Sobald ihm eine schöne Frau über den Weg läuft, vergißt er allerdings alles.

Und dann ist da noch die Geschichte von dem Mann ohne Arme und Beine, der zusammen mit seiner voluminösen Frau in der Nachbarwohnung neben Gohar einzieht. Jeden Morgen trägt die Frau ihn auf der Schulter zur selben Straßenecke, wo er bettelnd für das Haushaltsgeld sorgt. Der Witz der Geschichte: Sie ist eifersüchtig und hat auch allen Grund dazu. Rumpfmänner, so Gohar, üben einen ungeheuren erotischen Reiz auf Frauen aus, so daß sich der arm- und beinlose Casanova kaum vor Avancen retten kann. Die Rache seiner Frau: Sie stellt ihm das Essen so hin, daß er nicht herankommt. Aber da ist ja noch Gohar, der entspannte Raskolnikow, der ihn mütterlich füttert, wodurch das Weltbild des Kommissars völlig zusammenkracht.

Gegen Ende mündet die Geschichte zwingend in einen Showdown in Gohars Zimmer. Ein leerer, kahler Raum, hier schläft er auf einem Packen Zeitungen. Der Kommissar war Gohar ins Haus gefolgt, um zum letzten Schlag auszuholen. Als er es wieder verläßt, ist er entschlossen, den Dienst zu quittieren. Jürgen Berger

Albert Cossery: „Gohar der Bettler“. Aus dem Französischen von Bernd Wilczek. Carl Hanser Verlag. 232 Seiten, geb., 36 DM