■ Zur Person
: Jean Genet in deutscher Sprache

Der poète maudit Jean Genet (1910–1986) hinterließ, als er vor zehn Jahren in einem kleinen Mittelklassehotel in Paris starb, ein denkbar heterogenes Werk: von den Romanen der 40er Jahre, die ihn zur Legende werden ließen, über die vielgespielten Theaterstücke, die ihn reich machten (so reich, daß er seine jeweiligen Liebhaber bestens ernähren konnte), bis zu den poetisch-politischen Essays der Spätphase.

Das Waisenkind Genet war zeitlebens getrieben von einem seltsamen Haß gegen Frankreich, der ihn so weit gehen ließ, in einem seiner Romane mit einer Hitlerbegeisterung zu kokettieren. Sein politisches Weltbild war indes niemals konsistent. Neben dem Wunsch, das Bürgertum zu provozieren, engagierte er sich – quasi im Spiegel seines eigenen Schicksals als Outcast – grundsätzlich für militante linke Kämpfer: die Black Panthers, die RAF, die PLO.

Zehn Jahre nach seinem Tod gehen die Meinungen über die ästhetische Qualität seiner verschiedenen Schaffensphasen zwar auseinander, doch steht Genets literarischer Ruhm nicht mehr in Frage. Inzwischen liebt ihn das Bürgertum.

Andreas Meyer, Jahrgang 1927, hatte also das richtige Gefühl, als er Genet als einen seiner ersten Autoren in den 1957 in Hamburg gegründeten Merlin-Verlag aufnahm. Nachdem im Laufe der Jahre nahezu alles von Genet bei Merlin in deutscher Übersetzung erschienen ist – außer dem Roman „Querelle“, dessen Rechte der Rowohlt Verlag besitzt –, plant Meyer nun eine einheitliche deutschsprachige Werkausgabe, die jene Passagen zugänglich machen wird, die Genet für die Bände der Gallimard-Werkausgabe gestrichen hatte.

Die zensierten Ausgaben seiner Romane waren Grundlage der deutschen Übertragungen. Noch in diesem Jahr soll der Roman „Notre-Dame des Fleurs“ in integraler Fassung (allerdings ohne kritischen Apparat) als erster Band der deutschen Werkausgabe erscheinen. Das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt und wird der deutschsprachigen Leserschaft zunächst nicht nur Vorteile bringen. Denn Merlin hat die Lizenzen für die Taschenbuchausgaben bei Rowohlt, die lange billig zu haben waren, bereits zurückgezogen. Wer jetzt einen Roman von Genet kaufen will, wird sich an Merlins Buchausgaben halten müssen, das heißt mehr bezahlen. Wenn aber alles planmäßig klappt, wird man bald mit der Übersetzung bislang in Deutschland unbekannter, hoffentlich brisanter Stellen belohnt. ih