Hindus bieten britischen Rindern Asyl

Indien wertet den Wirbel um die Rinderseuche BSE als europäische Hysterie. Doch die Belustigung schlug in Entrüstung um, als die Drohung einer Zwangsschlachtung auftauchte  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Indiens Antwort auf den großen europäischen Auftrieb um die Rinderseuche BSE ist bislang einzigartig. Das „World Council of Hindus“ (WCH) bietet an, die zwölf Millionen von der Schlachtung bedrohten britischen Rinder nach Indien zu exportieren. Die indische Öffentlichkeit hat die Hysterie in Europa mit belustigtem Interesse zur Kenntnis genommen, fühlt sich doch jeder Inder angesprochen, wenn es um Kühe geht. Erst als die Drohung einer Zwangsschlachtung auftauchte, gab es entrüstete Kommentare.

Zwar fristen die meisten Kühe in Indien ein Hundeleben, aber die knochenmageren Exemplare auf der Straße halten die meisten Inder nicht davon ab, den verkleinerten Bronzeabguß dieser Tiere vor dem Hausaltar zu verehren. Mahatma Gandhi hat Gedichte auf die Kuh geschrieben, in denen er deren Nutzen als Lieferant von Milch, Brennstoff und „Dorfzement“ ebenso preist wie die treuherzige Schönheit ihrer Augen.

Indien ist das bevölkerungsreichste Kuhland der Welt; was sind schon, fragte der WCH- Vertreter in Delhi, „12 Millionen Kühe bei 280 Millionen?“ Niemand nimmt das Angebot des Weltrats der Hindus ernst, auch wenn dessen Vertreter versichern, die Offerte sei seriös. Es gehe um die Rettung von Millionen von Lebewesen, die im Zyklus der Wiedergeburt schließlich einen besonderen Stellenwert einnähmen. Im traditionellen Verständnis, wird dem Heiden nachgeholfen, helfe die Kuh dem Verstorbenen, den Todesstrom Vaitarni zu überqueren, indem er sich an deren Schwanz hefte. Doch die vierbeinigen Asylanten interessieren sich wohl zunächst für ihr eigenes Überleben im Diesseits. Ob sich die fetten Yorkshire-Rinder inmitten ihrer ausgemergelten Vettern wohl fühlen würden, ist eine andere Frage; die mageren Grasbüschel sind kaum ein Ersatz für schmackhaftes Hochprotein-Futter, auch wenn in letzterem tödliche Parasiten nisten. Immerhin wären die Kühe vor Schlachthäusern sicher, jedenfalls wenn die hinduistische BJP-Partei die kommenden Wahlen gewinnt.

Der WCH ist eine Schwesterorganisation der Hindu-Partei, zu deren Wahlslogans ein Schlachtverbot für Kühe gehört. Eine radikale Sturmtruppe will im anlaufenden Wahlkampf, wenn nötig mit Gewalt, die Schlachthäuser Indiens zur Schließung zwingen. „Wir werden allen Leuten den Kopf abschlagen, die einen einzigen Tropfen Kuhblut vergießen“, meinte kürzlich ein Aktivist mit bemerkenswerter Logik.

Wer weiß, sagen die Humoristen, vielleicht leiden die britischen Kühe unter dem englischen Wetter und würden im indischen Klima wieder gesunden? Und falls das Schlimmste dennoch eintritt, könnte man zumindest hoffen, daß sie nicht in einen Amok-Trott ausbrechen, sondern sich gemäß ihrer friedliebenden Natur still in sich selbst zurückziehen und mit klagendem Muhen die Vergänglichkeit alles Lebenden bedauern. Auch hier käme die Hindu-Partei BJP zu Hilfe. Das soeben veröffentlichte Wahlmanifest der Partei sieht nämlich vor, überall im Land Asyle für kranke und alte Kühe einzurichten, wo sie sich auf ihre Rolle als Fähren im hinduistischen Styx vorbereiten können. Eine Zeitung schlägt ein Tauschgeschäft vor: Großbritannien müsse sich verpflichten, die vielen Millionen von herrenlosen Hunden zu übernehmen, die hier jedem Bewohner mit ihrem nächtlichen Heulen den Schlaf rauben; schließlich sei der Hund für die Engländer eine „heilige Kuh“ und daher ein perfekter Tausch.

Eine noch günstigere Offerte betrifft eine Tierart, von der es in Indien ohnehin zu viele Exemplare gibt und die den Bürgern mehr als nur den Schlaf raubt: die Spezies der Politiker. An deren Stelle die spongiforme Enzephalopathie einzuführen, hält man immer noch für das kleinere Übel. Nur, so munkelt man hier, soll es von denen auch in Großbritannien bereits zu viele geben.